Raus aus den Löchern
Filme zur queeren Geschichte der BRD und DDR
Am 29. April 1972 fand in Münster die erste deutsche Demo von Lesben und Schwulen statt. Ein Jahr zuvor hatte sich die HSM gegründet und deshalb zum Jahrestag Gruppen und Menschen aus den Niederlanden und Deutschland nach Münster zur Demo eingeladen. Knapp 200 Menschen nahmen an ihr vor den Augen der verdutzen Münsteraner*innen teil.
Das ist umso erstaunlicher, da der Paragraf 175 (der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellt) erst drei Jahre zuvor unter Innenminister Gustav Heinemann liberalisiert wurde. Bis dahin galt in der BRD der von den Nazis verschärfte Paragraf. Wurden in den zwölf Jahren der Nazi-Zeit 50.000 Männer wegen Homosexualität verurteilt, waren es in der BRD bis 1969 ebenso viele. In der DDR galt die etwas harmlosere Fassung der Weimarer Zeit, der aber 1988 ersatzlos gestrichen wurde. Erst 1994 wurde im Zuge der Vereinigung auch für den Westen der Paragraf 175 komplett gestrichen.
Grund für uns, eine Filmreihe zur queeren Geschichte im Nachkriegsdeutschland zu organisieren. In dieser soll es weniger um die juristischen und gesellschaftlichen Umstände gehen. Wir wollen vielmehr die individuellen Lebensläufe von Lesben, Schwulen und trans Menschen zeigen. Die Filme verdeutlichen so auch die Veränderung der Themen und der Begrifflichkeiten und Sprache. Die Begriffe LGBTIQ* oder queer verdeutlichen die Entwicklungen in der Community, die bis in die 90er Jahre nur Lesben, Schwule und Transvestiten kannte.
Das Ende des Schweigens
Die Frankfurter Homosexuellenprozesse 1950/1951 stürzten viele Männer ins Unglück
Als der 17-jährige Strichjunge Otto Blankenstein im Sommer 1950 von der Polizei in Frankfurt am Main aufgegriffen wird, findet sie bei ihm ein Notizbuch mit den Namen seiner Kunden. In den darauffolgenden zehn Monaten wird gegen mehr als 200 homosexuelle und bisexuelle Männer ermittelt, rund 100 werden verhaftet, quer durch alle Schichten, vom Arbeiter bis zum Arzt. Blankenstein entfacht damit eine der größten Verfolgungen einer Minderheit in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Frankfurter Homosexuellenprozesse 1950/1951 stürzen hunderte Männer ins Unglück. Sie tragen dazu bei, dass der § 175 in den Jahrzehnten danach wieder als Instrument zur Verfolgung Homosexueller eingesetzt wird.
»Verdienstvoll ist […], dass der Film an die seinerzeit spektakulären und heute vergessenen Homosexuellenprozesse von 1950/51 erinnert und einem der Hauptbetroffenen, der nie finanziell entschädigt wurde, ein überfälliges Denkmal setzt.« (Tom Zwicker, Strandgut)
»Ebenso wichtig ist die Erkenntnis, dass sämtliche Freiheiten, die heute bestehen, hart erkämpft sind und viele Opfer forderten. Daran zu erinnern kann sich DAS ENDE DES SCHWEIGENS als Verdienst anrechnen; der Filmtitel sollte von uns allen als Appell begriffen und umgesetzt werden.« (kino-zeit.de)
Mo 4. April 2022 • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)
Verzaubert
Lebensläufe von Homosexuellen aus einer Zeit, als sie sich noch nicht lesbisch oder schwul nannten, sondern „verzaubert“
Regisseurin Dorothée von Diepenbroick ist anwesend!
13 Männer und Frauen im Alter zwischen 60 und 80 Jahren geben Auskunft darüber, wie sie Nationalsozialismus, Krieg und Nachkriegszeit in Hamburg erlebten. Sie erzählen von ersten heimlichen Romanzen, Vorladungen durch Sittenpolizei und Gestapo, Tarn-Ehen, Rosa Winkel, über Verfolgung und Vernichtung, über Subkultur und über ihren Alltag. Zum Beispiel Edith, die gemeinsam mit ihrer Freundin 38 Jahre lang ein Kaffee- und Konfitürengeschäft geführt hat. Oder Rudolf, der seine glücklichste Zeit erlebte, als er beim Fronttheater im Zweiten Weltkrieg Frauenrollen spielen durfte. In den Interviews wird nicht versucht, ein bisher „vergessenes“ Kapitel der Geschichtsschreibung nachzuliefern, sondern Schwule und Lesben mit ihren unterschiedlichen Lebenserfahrungen und -geschichten selbst zu Wort kommen zu lassen.
VERZAUBERT war der erste Film über Schwule und Lesben im Deutschland der NS-Zeit in der frühen Bundesrepublik. Auch 30 Jahre später ist das dokumentarische Porträt noch genauso mitreißend wie zur Zeit seiner Entstehung.
Mo 11. April 2022 • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)
Out in Ost-Berlin
Auch in der DDR erlebten die meisten Homosexuellen Angst und Schuldgefühle
1968 wird in der DDR der § 175, der die Homosexualität unter Strafe stellt, abgeschafft. Im real existierenden Sozialismus wird Homosexualität politisch zunächst als vernachlässigbares Thema behandelt. Die Kleinfamilie bildet den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Sozialisation. Schwule und Lesben leben auch in der DDR verborgen und wagen sich, wie im Westen auch, nur vereinzelt an die Öffentlichkeit. Vor dem Mauerbau knüpfen die Ost-Berliner noch gefährlich erscheinende Kontakte zu den West-Berlinern. Danach wird es stiller im schwulen Osten. Von der BRD und ihrer schwulen Emanzipationsbewegung beeinflusst und nur wenig zeitversetzt, bilden sich in der DDR Arbeitsgruppen zur Homosexualität.
OUT IN OST-BERLIN begleitet die Erzählungen von schwulen Männern und lesbischen Frauen durch die sozialistische DDR bis zum Mauerfall. Ihre unterschiedlichen Erfahrungen auf dem Weg zu einer selbstbewusst geouteten sexuellen Identität eint jedoch eine spezifische Perspektive: Sie werden vom wachsamen Auge der Stasi begleitet und ihre Schritte sind bis ins Bett hinein in unzähligen Akten-Dossiers notiert.
Mi 20. April 2022 • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)
Mein wunderbares West-Berlin
Aktivisten, Travestie-Stars, Museumsgründer, Filmregisseure, Clubbetreiber, Modemacher und DJs erzählen über das schwule West-Berlin vor dem Mauerfall
MEIN WUNDERBARES WEST-BERLIN nimmt uns mit auf eine faszinierende schwule Zeitreise: in die 50er und 60er, in denen die West-Berliner zwar noch massiv unter den Einschränkungen und Verfolgungen durch § 175 zu leiden hatten, sich aber dennoch bereits eine lebendige Subkultur mit Szene-Bars und Klubs aufbauen konnten; in die 70er, jene Zeit der bahnbrechenden Emanzipationsbewegungen und gesellschaftlichen Umbrüche; und in die 80er, die geprägt waren von einer Ausdifferenzierung queerer Lebensentwürfe, aber auch den verheerenden Folgen von Aids, die Berlin so heftig trafen wie keine andere deutsche Stadt.
Mehr oder weniger prominente Menschen erzählen von persönlichen und gesellschaftlichen Kämpfen, erinnern sich an heimliche Blicke und rauschhaften Sex, legendäre Partys und wütende Demonstrationen, leidenschaftliche Streite und ungeahnte Bündnisse. Zusammen mit zum Teil noch nie gesehenem Archivmaterial entsteht so ein Panorama des schwulen West-Berlins – und von dessen gesellschaftlichen Folgen für heute.
Mo 25. April 2022 • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)
Ich bin meine eigene Frau
Die fast unglaubliche Lebensgeschichte eines warmherzigen, sanftmütigen Menschen, einer couragierten Außenseiterin, einer ewigen Kämpferin
Rosa von Praunheims Porträt von Charlotte von Mahlsdorf erzählt in einer Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm auch die Geschichte deutscher trans Menschen zwischen Jahrhundertwende und Mauerfall: 1928 als Junge geboren, wächst Charlotte in der Zeit des Nationalsozialismus auf, findet Verständnis nur bei der lesbischen Tante. Der Vater ist ein herrischer, gewalttätiger Mann, und als er die ganze Familie bedroht, erschlägt Charlotte ihn. Sie kommt in die Psychiatrie, ins Jugendgefängnis, und entkommt kurz vor Kriegsende einem Erschießungskommando der SS. Nach dem Krieg restauriert sie ein Schloss, errichtet in Mahlsdorf, einem Vorort Berlins, das einzige Privatmuseum der DDR, das ganz im Stil der Gründerzeit eingerichtet ist.
Als einziger bekannte trans Mensch der DDR wird sie auch dort schikaniert und bleibt selbst im wiedervereinten Deutschland, wo ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen wird, eine Außenseiterin. 1997 wird bekannt, dass sie Anfang der 70er Jahre für die Stasi gearbeitet hatte. Sie habe aber nur etwas von amerikanischen Soldaten erzählt. „Mehr nicht“, so „Lottchen“ gegenüber der taz.
Mi 2. Mai 2022 • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)
Im Stillen laut
Ein Film über Liebe im Alter, Autonomie, DDR & Kunst. Erika und Tine, über 80, stellen mit ihrer Neugier und Offenheit alles in Frage
„Die entscheidende Frage ist doch, wofür möchte ich frei sein? Was genau soll denn anders werden?“ Erika und Tine, 81, und seit 40 Jahren ein Paar, schauen auf ein bewegtes Stück Geschichte zurück. Der Film macht nicht in der Vergangenheit halt, sondern blickt mit Erika und Tine in die Zukunft: Was vermag Kunst in gesellschaftspolitisch herausfordernden Zeiten? Wie kann man sich, der Kunst und seinen Idealen treu bleiben? Welchen Sinn kann Kunst schaffen für das große Ganze und für jede/n von uns individuell?
IM STILLEN LAUT stellt bewusst die subjektiven Erfahrungen der zwei Frauen in den Fokus, fragt nach ihren Strategien, als Künstlerinnen den Alltag in einem autoritären Regime zu bestreiten, und nach ihrem Umgang mit der alles verändernden Wende. Ihre Widersprüche, Visionen und Erinnerungen verdichten sich zu einem komplexeren Bild ost-deutscher Erfahrung. Einem Bild, das sich nicht in die üblichen Widerstands- oder Propagandanarrative einfügen lässt, sondern, wie seine Protagonistinnen, widerspenstig bleibt.