Drehbuch Geschichte 2024
Kamera Kolonial – (Post)Koloniale Perspektiven im Film
Das Kino ist seit seiner Erfindung ein Fenster zur Welt, ein zentrales Medium für die Wahrnehmung von anderen Ländern, Menschen und ihrer Geschichte.
Schon vor über 100 Jahren wurden in deutschen und westfälischen Kinos laufende Bilder aus den Kolonien gezeigt und romantisierten so eine Sehnsucht nach der Ferne, befeuerten imperialistische Großmachtträume und verbreiteten rassistische Fantasien. Erst seit den 1960er Jahren meldeten sich kritische Stimmen zu Wort, die das idyllische Bild hinterfragten und mit ihren Filmen eine neue Perspektive auf die die Kolonialgeschichte und ihre Nachwirkungen forderten und förderten. Mit ihnen veränderte sich der westliche Blick, blieb aber weiter eine eigene Interpretation der Geschichte. In der jüngsten Zeit ist die Forderung nach Repräsentation und Selbstbestimmtheit auf der Leinwand in den Fokus gelangt: Statt über die kolonisierten Menschen zu sprechen, sollen sie selbst zu Wort kommen und ihre Erfahrungen teilen können.
Diese Perspektivveränderungen nachzuvollziehen und zu verstehen, ist das Ziel der Filmreihe, die an sechs Themenabenden Filme über Kolonialismus und Postkolonialismus zeigt. Jeder Film wird durch ein Kurzreferat eingeführt und von einem Filmgespräch begleitet, das zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem kolonialistischen Erbe einlädt.
Die Filmreihe ist eine gemeinschaftliche Veranstaltung der folgenden Einrichtungen:
• Die Linse e.V.
• LWL-Medienzentrum für Westfalen
In Kooperation mit:
• Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. in Westfalen Lippe, Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V., Münster, LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, Geschichtsort Villa ten Hompel, LWL-Literaturkommission für Westfalen, • Afrikanische Perspektiven
Die Filme des Programms:
Der vermessene Mensch
Die Weiße Sicht der Dinge
Ende des 19. Jahrhunderts: Alexander Hoffmann ist ein ehrgeiziger Ethnologie-Doktorand. Als im Zuge der „Deutschen Kolonial-Ausstellung” eine Delegation von Herero und Nama aus der Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ nach Berlin reist, lernt Hoffmann die Dolmetscherin Kezia Kambazembi kennen. Er entwickelt ein intensives Interesse an den Herero und Nama und widerspricht nach den Begegnungen und Gesprächen mit ihnen der gängigen evolutionistischen Rassentheorie.
Während der Aufstand der Herero und Nama in der Kolonie mit einem blutigen Vernichtungskrieg niedergeschlagen wird, reist Hoffmann im Schutz der kaiserlichen Armee durch das Land und sammelt zurückgelassene Artefakte und Kunstgegenstände. In Wahrheit sucht er jedoch weiter nach Beweisen für seine These – und nach Kezia. Vor Ort erlebt er, wie die deutschen Soldaten ihren Genozid ausführen. Auch der Ethnologe überschreitet zunehmend moralische Grenzen, als er einwilligt, seinem Berliner Professor Schädel und Skelette von toten Herero zum Zwecke der Forschung zu schicken.
Die Erzählung des Films stieß u.a. auf große Kritik Schwarzer Filmschaffender in Deutschland. Die Einführung zum Film möchte diese Kritik aufnehmen und damit den Blick auf rassistische Muster schärfen.
Namibia/Deutschland/Südafrika 2022 · R & Db: Lars Kraume · K: Jens Harant • Mit Leonard Scheicher, Girley Charlene Jazama, Peter Simonischek, Sven Schelker, Max Philip Koch u.a. · ab 12 J. · 116′
Di 19. März 2024 • 18:00 Uhr mit einer Einführung von Nina Kliemke und anschl. Filmgespräch mit Israel Kaunatijke
Nina Kliemke
ist als Bildungsreferentin für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. mit Dienstsitz in Münster tätig. Der Volksbund ist eine humanitäre Organisation und widmet sich der Aufgabe Kriegstote zu bestatten und zu pflegen. Weiter engagiert er sich in der Erinnerungskultur und fördert die Bildung und Begegnung von Menschen allen Alters an den Ruhestätten der Toten.
Israel Kaunatijke
ist Aktivist und Herero-Nachfahre. Er ist aktiv im Bündnis „Völkermord verjährt nicht! BerlinPostkolonial“ und Ehrenmitglied der Herero-Banderu-Stiftung in Windhuk, Namibia. Kaunakijke wurde 1947 in Okahandja, der Hauptstadt der Herero, in Namibia geboren. Seit 1970 lebt er in Berlin. In Namibia wurde er schon als Kind politisiert und kämpfte aus der Ferne gegen die Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit.
Frauen, Masken und Dämonen
Rassistische und sexistische Stereotype in exotisierenden Dokumentarfilmen
Schon mit 17 Jahren zieht es den Hamburger Hans Schomburgk gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach Afrika, wo er nicht nur zahlreiche Expeditionen unternimmt, sondern auch das Medium Film für sich entdeckt. Zunächst zieht er auf eine Farm in Südafrika und kämpfte auf Seiten der Natal-Polizei im Burenkrieg. Danach war er Polizeioffizier in Nordrhodesien (heute Sambia), Großwildjäger und als Forschungsreisender unterwegs. Er kartografierte im Auftrag des jungen Staates Liberia, entdeckte neue Regionen in Südangola und ihm wird die Entdeckung der Tsetsefliege als Überträger der Schlafkrankheit zugeschrieben. Fast drei Jahrzehnte lang dokumentierte er Tierwelt und Menschen auf dem ganzen Kontinent. Seine Aufnahmen definieren das Afrikabild des deutschen Kinopublikums enorm, gleichzeitig bedienen sie dabei allerdings auch rassistische und sexistische Stereotype. Schomburgk schafft mit seinen teils exotisiernden Bildern Afrikas den Gegenpol zu der von Wissenschaft und Technik beherrschten Zivilisation in Europa. Später missbrauchen die Nazis seine Filme und verbieten ihm wegen seiner halbjüdischen Herkunft weitere Arbeiten und vernichten zum Teil sein Archiv.
Deutschland 1948 · R: Hans Schomburgk · K: James S. Hodgson, Eugen Hrich, Emil Keim, Paul Lieberenz · ab 16 J. · 77′
Mo 25. März 2024 • 18:00 Uhr mit einer Einführung von Stefan Höppner ( Geschäftsführer LWL-Literaturkommission) und anschl. Filmgespräch
Stefan Höppner
ist Geschäftsführer der Literaturkommission für Westfalen beim LWL und leitet dort unter anderem das Museum für westfälische Literatur.
Er unterrichtet als außerplanmäßiger Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Freiburg und ist Adjunct Associate Professor of German Studies an der University of Calgary, Kanada.
Zuletzt erschien u.a. der Band „Goethes Bibliothek. Eine Sammlung und ihre Geschichte“ (2022).
Heia Safari – Die Legende von der deutschen Kolonial-Idylle in Afrika
Ein Meilenstein der Fernsehgeschichte
Gestützt auf Recherchen in Tansania und Kamerun sowie auf offizielle deutsche Dokumente, greift Ralph Giordano die Klischeevorstellung eines gerechten und erfolgreichen deutschen Kolonialismus in Afrika an. Er wendet sich vor allem gegen die nach dem Ersten Weltkrieg aufgebrachte Legende, der deutsche Kolonialismus sei „besser“ gewesen, als der der anderen Kolonialmächte.
Die 1966 ausgestrahlte Dokumentation gilt als eine der frühesten kritischen Auseinandersetzung des bundesdeutschen Fernsehens mit der deutschen Kolonialpolitik in Afrika. Nach einem unerwartet heftigen Proteststurm reagierte der WDR im Februar 1967 mit einer Podiumsdiskussion, an der unter anderem Historiker und Museumsleiter, ein Vertreter des Afrika-Vereins, Ralph Giordano und der verantwortliche Redakteur Dieter Gütt teilnehmen.
»HEIA SAFARI war (…) von Giordano nicht als reine Geschichtsstunde über den deutschen Kolonialismus konzipiert. Vielmehr wollte die Sendung eine Darstellung der deutschen Kolonialvergangenheit mit jener der Situation im postkolonialen Afrika und der bundesrepublikanischen Haltung gegenüber diesem sich emanzipierenden Kontinent verbinden und damit Bezug zur Aktualität herstellen.« (Eckard Michels: Geschichtspolitik im Fernsehen)
Deutschland 1966 · R: Ralph Giordano, Claus-Ferdinand Siegfried · Db: Ralph Giordano ·K: Josef Kaufmann, Rolf Schmechel · 99′
Di 9. April 2024 • 18:00 Uhr mit einer Einführung von Julia Paulus und anschl. Filmgespräch
Dr. Julia Paulus
ist Referentin für Frauen- und Geschlechtergeschichte am LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, promovierte in Neuerer u. Neuester Geschichte an der Universität Münster
Borga
Der Mythos vom offenherzigen Europa
Die beiden Brüder Kojo und Kofi wachsen auf der Elektroschrott-Müllhalde Agbogbloshie in Ghanas Hauptstadt Accra auf. Ihren Lebensunterhalt verdienen sie im Betrieb ihres Vaters mit dem Sammeln von Metallen, die sie aus westlichem Müll gewinnen. Eines Tages hat Kojo eine Begegnung mit einem Borga aus Deutschland, die sein Leben für immer verändern wird. Als sich 10 Jahre später die Chance ergibt, selber nach Deutschland zu gehen, zerreißt das Familienband und für Kojo beginnt eine fünfjährige Irrfahrt über die Kontinente. In Deutschland angekommen bemerkt er schnell, dass sein Traum nur ein Mythos ist. Er wird nicht mit offenen Armen empfangen. Aber eine Rückkehr kommt nicht in Frage!
»In meiner Gemeinde hier in Deutschland kennen wir bisher keinen deutschen Film, der eine afrikanische Geschichte aus der Perspektive eines Schwarzen erzählt. BORGA ist die Geschichte meines Vaters, meines Onkels, die Geschichte der meisten Schwarzen, die nach Deutschland kamen und die Geschichte aller, die ihre Heimat in der Hoffnung verlassen haben, ein besseres Leben für ihre Familien und sich selbst zu schaffen. Es ist die Geschichte eines schwarzen Mannes, erzählt ohne Mitleid, einfach schlicht und roh.« (Eugene Boateng)
Deutschland/Ghana 2020 · R : York-Fabian Raabe · Db: York-Fabian Raabe, Toks Körner · K: Tobias von dem Borne • Mit Eugene Boateng, Prince Kuhlmann, Thelma Buabeng, Christiane Paul u.a. · ab 12 J. · 108′
Di 16. April 2024 • 18:00 Uhr mit einer Einführung Stefan Querl und Tina Adomako und anschl. Filmgespräch
The Bride
Die Träume einer jungen Frau in Ruanda
1997, drei Jahre nach dem Völkermord an den Tutsi in Ruanda. Eva träumt davon, Medizin zu studieren. Doch die junge Frau wird von Silas mit Hilfe seiner Freunde entführt. Durch dieses „Guterura“ genannte Ritual wird die Familie der Frau gezwungen einer Heirat ohne Zahlung des Brautpreises zuzustimmen. Sie ist gezwungen, ihr neues Leben mit einem Fremden zu teilen und fühlt sich im Stich gelassen. Silas‘ Cousine wohnt im selben Haus wie sie. Während Silas arbeitet, entwickeln sich zwischen den beiden jungen Frauen eine vertrauensvolle Verbindung. Während sie ihre Tage mit Hausarbeit, Perlenstickerei, Teekochen verbringen tauschen sie ihre Familiengeschichten und Erinnerungen an den Völkermord aus. So entdeckt Eva auch die traumatische Vergangenheit ihre Familie. Trotz dieser neu gefundenen Verbündeten denkt Eva darüber nach, in ein Leben in Freiheit zu fliehen, so wie sie es sich vorgestellt hat.
In ihrem ersten Spielfilm THE BRIDE thematisiert die Regisseurin Myriam U. Birara das Trauma der Gesellschaft anhand der Freundschaft zweier Frauen.
Ruanda 2023 · R & Db: Myriam U. Birara · K: Bora Shingiro • Mit Aline Amike, Daniel Gaga, Beatrice Mukandayishimiye, Fabiola Mukasekuru, Sandra Umulisa u.a. · ruand.OmeU · 73′
Di 23. April 2024 • 18:00 Uhr mit einer Einführung von Susanne Koellner und anschl. Filmgespräch mit Gudrun Honke
Susanne Koellner
ist wissenschaftliche Referentin im LWL-Medienzentrum. Sie studierte Filmwissenschaften an der University of Glasgow und forschte insbesondere zu Rollenbildern, Repräsentation und Erinnerungskultur in gegenwärtigen Medien.
Gudrun Honke
lebte von 1981-1991 in Ruanda. Sie ist Lektorin für afrikanische Literatur beim Peter Hammer Verlag und hat u.a. die Bücher von Esther Mujawayo und Scholastique Mukasonga herausgegeben, die sich mit dem Genozid und der Geschichte Ruandas befassen.
Stop Filming Us
Die Bilder der Europäer von afrikanischen Ländern
In den letzten Jahrzehnten ist es zu einem Kinderspiel geworden, sich Bilder von anderen Länder zu machen. Die Menschen können zwar über Geschehnisse in einem Land lesen, aber es ist erwiesen, dass eine emotionale Verbindung nur dann entsteht, wenn man es mit eigenen Augen sieht. Die Stadt Goma in der Demokratischen Republik Kongo ist von diesem Trend nicht ausgenommen. Das Bild, das die Welt von diesem Land zeichnet, ist nicht sehr schmeichelhaft. Nach jahrelanger negativer Presse kommt Regisseur Joris Postema in die Stadt, um ihre positiven Seiten zu beleuchten und der Welt hoffentlich eine neue Perspektive zu vermitteln.
Es gibt jedoch ein kleines Problem, denn einige der Einheimischen beginnen zu zweifeln, ob seine Anwesenheit ihrem Image wirklich zuträglich ist, und ob sie nach so viel falscher Darstellung überhaupt noch gefilmt werden wollen. Überall, wo er hinkommt, ist ein Gefühl des Unwohlseins gegenüber Ausländern zu spüren. Postema begibt sich auf eine unerwartete Reise, auf der er seine eigenen Vorurteile und Wahrnehmungen überdenkt, und nimmt die Zuschauer*innen mit an einen Ort, an dem ganz andere Moralvorstellungen herrschen als bei uns. Stop Filming Us ist ein faszinierender Einblick in eine andere Kultur, der unsere Wahrnehmung hinterfragt, die wir haben, wenn wir uns mit anderen vergleichen.
Niederlande 2020 · R: Joris Postema · Db: Joris Postema, Harmen Jalvingh · K: Wiro Felix • Mit Joris Postema,Mugabo Baritegera,Bernadette Vivuya u.a. · mehrsprach.OmeU · 95′
Di 30. April 2024 • 18:00 Uhr mit einer Einführung von Jens Schneiderheinze und anschl. Filmgespräch mit Ousman Ceesay
Jens Schneiderheinze
ist freier Kurator und Kulturmanager, vorrangig im Filmbereich. Er war über 20 Jahre Kinobetreiber und ist seit über 35 Jahren für den Verein Die Linse ehrenamtlich tätig.