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Dokumentarfilm-Club - Archiv

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Archiv

 Dokumentarfilme unterbreiten uns das schöne Angebot, den Filmemacher*innen in die verschiedensten Winkel unserer Zivilisation zu folgen. Wir gewinnen einen Eindruck von den Lebensräumen unserer Zeit sowie von der Poesie und Logik sich darin entwickelnder Lebensgeschichten. Dadurch erhalten wir auch Anregungen für unseren eigenen Alltag.
Seit September 2019 zeigen wir jeweils mit viermonatiger Sommerpause monatlich einen Film.

Unsere bisher gezeigten Filmen – nutze auch die Suche-Funktion

Leaning Into The Wind – Andy Goldsworthy

15 Jahre nach Rivers & Tides

Andy Goldsworthy bei der Durchdringung seiner vielschichtigen Welten wird mittlerweile selbst Teil seiner Kunstwerke, die zugleich zerbrechlicher, persönlicher, ernster und rauer geworden sind und zum Teil den Einsatz von schweren Maschinen und großen Teams erfordern. Immer noch aber ist Goldsworthy der entwaffnend offene und verschmitzte Erzähler, der so faszinierend von der Natur, der Liebe zu einem Bach in seiner Gegend, den leicht vermosten Bäumen an dessen Ufer und vom stetig fließenden Wasser zu sprechen vermag, während Thomas Riedelsheimer das Universum seines Protagonisten in hinreißende Bilder und Töne fasst.

»„Ich glaube die Schönheit von Kunst ist“, sagt Andy Goldsworhty, „dass sie einem dazu verhilft, die normale Art des Gehens oder Schauens zu durchbrechen“. Und das demonstriert der Brite mit seinen Inszenierungen und Werken anschaulich. Nach wie vor ist hauptsächlich die Natur bei ihm – wie bei einem klassischen Bildhauer – sein Material. … Spektakulär klettert er in seiner schottischen Heimat durch einen dornigen, bizarren Zaun aus Schlehenhecken. Vor dem regengrauen Horizont wirkt seine dunkle Silhouette wie ein übergroßes Insekt. « (Luitgard Koch in programmkino.de)

Großbritannien/Deutschland 2017 · R & Db: Thomas Riedelsheimer · K: Thomas Riedelsheimer · Musik: Fred Frith • Mit Andy Goldsworthy und andere · ab 0 J. · engl.OmU · 96′

Mi 24. April 2024  • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Leaning Into The Wind – Andy Goldsworthy

Thomas Riedelsheimer

Regie, Regie-Assistenz, Drehbuch, Kamera, Schnitt, Ton, Produzent
* 1963, studierte von 1984 bis 1991 an der Hochschule für Fernsehen und Film in München in der Abteilung Dokumentarfilm, wo er heute auch als Dozent tätig ist. Seit 1986 ist Riedelsheimer als Filmemacher, Editor und Kameramann in Deutschland und im Ausland tätig.

Seinem Regieerstling „Borderline“ (1988) folgten zahlreiche preisgekrönte Werke, so „Sponsae Christi – Die Bräute Christi“ (1992, Grimme-Preis in Gold), „Rivers and Tides“ über den Land-Art-Künstler Andy Goldsworthy (2001, u.a. Deutscher Filmpreis für den Besten Dokumentarfilm, Deutscher Kamerapreis) und „Touch the Sound“ über die Perkussionistin Evelyn Glennie (2004, Deutscher Filmpreis 2005 für die Beste Tongestaltung). 2002 gründete Thomas Riedelsheimer mit Stefan Tolz und Thomas Wartmann die Produktionsfirma Filmquadrat. Bald aber trennten sich die Wege des Trios und Riedelsheimer gründete mit Tolz eine neue Produktionsfirma namens Filmpunkt.

Filmografie (Auszug, nur Regiearbeiten)

  • 2022/2023: Tracing Light (Regie, Drehbuch)
  • 2016/2017: 24 h Bayern – Ein Tag Heimat (Regie, Kamera)
  • 2014-2017: Leaning into the Wind – Andy Goldsworthy (Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt)
  • 2014-2016: Die Farbe der Sehnsucht (Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt)
  • 2009-2012: Breathing Earth – Susumu Shingus Traum (Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt)
  • 2008-2012: Garden in the Sea (Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt)
  • 2007/2008: Seelenvögel (Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt, Produzent)

 

Mehr Infos unter: http://www.thomas-riedelsheimer.de

Schlesiens wilder Westen

Zwischen dem Früher und dem Heute liegt die Vertreibung

„Ich kann besser an einem Ort leben, dessen Geschichte ich kenne.“ In dem Prolog des Filmes betrachten zwei Männer Fotos. Die Männer sind noch nicht alt, die Fotos deutlich älter als die beiden Polen. Es sind Fotos aus einem Dorf in Niederschlesien, Fotos aus einer Welt, die es so nicht mehr gibt, Fotos aus Seifershau, Niederschlesien, heute Kopaniec.

Dort wohnen die beiden Männer. Der Film erkundet die Geschichte dieses Ortes am Rande des Riesengebirges durch die Erinnerungen seiner früheren und heutigen Einwohner, deren Lebenswege die Erfahrung von Millionen von Menschen widerspiegeln.
Zwischen dem Früher und dem Heute liegt die Vertreibung. Aus dem Ort wurden die deutschen Bewohner ab dem Sommer 1946 vertrieben. Seit 1945 wurden Vertriebene aus dem Ostpolen der Vorkriegszeit hier angesiedelt.
In den ersten Jahren nach Kriegsende nannte man diese Region in Polen „Der Wilde Westen“. Seit Mitte der siebziger Jahre kommen immer wieder Besuchergruppen aus Deutschland im Bus nach Kopaniec, Menschen auf Besuch in einer „Heimat, die Heimat nicht mehr ist“.
Der Film begleitet die Gruppe bei der Ankunft, beim Heimatabend, auf den Wegen durch das Dorf, bei den Besuchen der heutigen Bewohner. „Als Kinder, wenn wir mutig waren, haben wir ihnen nachgerufen: ‚Hitler kaputt, Hitler kaputt’“, erzählt lachend eine junge Polin. Nach dem Krieg lebten die alten Bewohner und die ankommenden neuen noch bis zu zwei Jahre zusammen in demselben Haus. „Die Deutschen wurden schikaniert“, erzählt ein Pole. Und: „Das machte alles der Krieg“. Aber auch so klingen Erinnerungen: „Wir haben zusammen gegessen und gearbeitet“. Alltag in einer Ausnahmezeit. In die Gegend um Kopaniec gelangten damals nicht nur Vertriebene aus dem Osten, von denen einige vorher jahrelang in Sibirien interniert waren. Familien aus dem in weiten Teilen zerstörten Zentralpolen versuchten ihr Glück, unter ihnen oft ehemalige Zwangsarbeiter. Ausgemusterte polnische Soldaten bekamen hier neues Land zugewiesen, Plünderer machten die Gegend unsicher. Auch davon erzählt der Film. In dem Dorf leben die Alten mit ihren Geschichten, aber auch die Jungen leben hier mit der Geschichte des Dorfes. Sie leben ihr Leben, heute. Und einer der Jüngeren kam aus Deutschland, Sohn einer Frau, die zu den Vertriebenen gehört, und er baut nun ein Haus in Kopaniec: „Zuerst habe ich erst mal Polnisch gelernt, denn ich bin ja nicht hierhergekommen, um die Geschichte wieder zurückzudrehen“, sagt er. Seine Mutter wollte nie, dass er sich hier ansiedelt. Das Dorf ist Mittelpunkt des Filmes und Bindeglied zwischen den früheren und heutigen Bewohnern. Die Polen wie die Deutschen hofften nach ihrer Vertreibung, dass sie wieder nach Hause gehen können. „Man muss sich damit abfinden“, sagt eine Polin. „Schlesiens Wilder Westen“ fragt, was Heimat ist: ein Ort, ein Mensch, ein Gefühl, eine Erinnerung?

Deutschland 2002 · R & Db: Ute Badura · K: Ute Badura, Claus Deubel, Susanna Salonen · ab 6 J. · dt/poln.OmU · 98′

Mi 27. März 2024  • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Schlesiens wilder Westen

Ute Badura
Regie, Drehbuch, Kamera, Produzent, *1957 Moers

Filmografie (Auszug)

  • 2010: Häuser des Herrn (Regie, Drehbuch, Produzent)

  • 2008/2009: 24 h Berlin – Ein Tag im Leben (Regie, Kamera)

  • 2007: Ein Quadratkilometer Stadt und eine Brücke (Regie Drehbuch Kamera Produzent)

  • 2000-2002: Schlesiens Wilder Westen (Regie, Drehbuch, Kamera, Produzent)

  • 1996/1997: Kinderland ist abgebrannt (Drehbuch, Kamera, Produzent)

  • 1993: Oda (Kamera)

  • 1990/1991: Eigentlich geht es mir gut (Kamera)

Mehr Infos unter: www.badurafilm.de

Meine Mutter – heimatlos

Wie die Folgen von Krieg und Vertreibung die Seelen der Menschen vergiften
Horst Herz ist anwesend!

Am frühen Morgen: Anruf aus dem Pflegeheim: „Ihre Mutter ist heute Nacht verstorben.“ Als letzter noch lebender Angehöriger der Familie mache ich mich auf den Weg.

Versuch die Geschichte meiner Familie zu verstehen. Gewidmet einer Generation von Frauen die ausufernden Nationalismus, Rassismus und die Folgen von Krieg und Vertreibung bewältigen mussten.

Vor einigen Monaten musste ich meine Mutter auf dringenden ärztlichen Rat und gegen ihren Widerstand in ein Pflegeheim der Stadt bringen. 60 Jahre wohnte sie in der kleinen Sozialwohnung im Plattenbau gebaut nach dem 2. Weltkrieg für Flüchtlinge und Heimatvertriebene. Ihre Rente betrug knapp 700 €. Sie hat ihr Arbeitsleben als Akkordarbeiterin in einer Spielzeugfabrik verbracht.

Die Hoffnung meiner Mutter auf Rückkehr in die eigene Wohnung hatte sich nun endgültig zerschlagen. Ihre Wohnung mußte geräumt werden. Mein Plan war dies langsam zu tun. Zu viele Erinnerungen tauchten auf. Ein Abschied.

Da waren die Dinge, zu denen ich einen seltsam nahen Bezug hatte: Die frivole Katze Ein alter Krug – mit dem ich als Kind einmal in der Woche für Großmutter Bier holen musste. Und die Dinge, über die meine Mutter Botschaften sandte: Ihr Tagebuch – Am Beginn des Tagebuchs steht: „Mein ganzes Leben während der Verheiratung war ein ewiges Hin- und Her, vewirrend und aufregend. Mit der Vertreibung und dem Verlust der Heimat begann es. Ich hätte nicht heiraten sollen, es war mein größter Fehler…“ Die Geschichte meiner Mutter steht exemplarisch für die 4 Millionen deutschstämmiger Bürger*innen der Tschechischen Republik die gezwungen wurden ihre Heimat zu verlassen.

In zwei Koffern: Dokumente aus längst vergangenen Zeiten und Fotoalben mit Bildern die viel erzählen können. Doch wie lassen sich die Geschichten hinter den Dokumenten und Fotos entschlüsseln? Welch ein Glück! Das handgeschriebene Kochbuch von Großmutter. Geheimrezepte der böhmischen Kochkunst.

 Ich erinnerte mich an ein langes Gespräch mit meiner Mutter am Küchentisch. Ich hatte es während meines weihnachtlichen Besuchs vor 12 Jahren spontan mit einer kleinen Kamera aufgezeichnet. War mir damals bewusst, wie schwierig es bald sein würde, authentische Zeitzeugenberichte zu bekommen? Ich – der wie besessen begreifen wollte: wie diese verletzende Lieblosigkeit, diese Selbstbezogenheit, diese Ängste, Leere und Abgestumpftheit, diese Rücksichtslosigkeit, dieses Schweigen und die erschauernde Gefühlskälte meiner Eltern möglich werden konnte? Diese Frage beschäftigt mich ein ganzes Leben. Die Arbeit an diesem Film hilft mir mich besser zu verstehen. Mit den gefundenen Dokumenten, Fotos und den alten Videos mache ich mich auf eine Reise in meine Familiengeschichte.

Horst Herz

Deutschland 2023 · R & K, S: Horst Herz · ab 0 J. · 94′

Mi 24. Januar 2024  • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Geographies of Solitude

Horst Herz
Produzent / Autor / Kameramann / Coach

Arbeit in den 70ern in einer BMW-Autowerkstatt. Fotografenlehre. Studioleiter. Fotograf für Mode und Werbung bei Jochen Distler. Mitarbeit bei 35mm Werbefilmen. Kinoarbeit („Filmfabrik“ im „KOMM“, „Cinemathek Nürnberg“, „Kino „Meisengeige“). Eigenes Sperrmüllunternehmen. Abitur 2. Bildungsweg. LKW-Fahrer bei der US-Armee. Rockmusik- und Musicalveranstalter. Fotoreportagen. Ausstellungen. S-8 Experimental-Filme.

Danach Filmstudium bei Adolf Winkelmann.

Heute Lehrtätigkeit im Bereich Dokumentarfilm (u.a. Filmwerkstatt Münster, Studio West, Salzburg. Konzept + Seminarleitung der „Masterschool-Dokumentarfilm“ mit Klaus Wildenhahn). Coaching Dokfilm

Filmografie (Auszug)

  • 1981 Venceremos (Kurzfilm)
  • 1981 Die Zukunft hat keinen Namen
  • 1982 Es lobt den  Mann… (Kurzfilm)
  • 1984 Streifzug
  • 1998 Auschwitz/Oswiecim
  • 2013 Die Siedlung
  • 2019 Das Meer – Die Sehnsucht

Mehr Infos unter: https://www.horst-herz-filmproduktion.com/

Annie Ernaux - Die Super-8-Jahre

Dokumente eines Aufbruchs

Im Winter 1972 kaufen sich die französische Schriftstellerin Annie Ernaux und ihr Ehemann Philippe eine Super-8-Kamera, die in der Folge, während 9 Jahren, ihr Leben aufzeichnen wird. Nicht nur Szenen einer jungen Familie, sondern auch Reisen an politisch außergewöhnliche Orte wie Chile, Albanien oder Russland werden dokumentiert.
ANNIE ERNAUX – Die Super-8 Jahre (1972 bis 1981) ist das feministische Dokument eines Aufbruchs einer jungen Frau, die am Anfang noch von der Kamera ihres Mannes beim verschämten Schreiben ertappt wird, weil sie als junge Mutter und Lehrerin andere Pflichten hat, als ihren Weg als Schriftstellerin zu suchen. Aber am Ende, nach der Trennung von ihrem Mann, wird ihr mit ihrem 4. Buch „Der Platz“ 1983 der internationale Durchbruch gelingen.

In ihrem ersten Film zeigt uns die über 80 jährige Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux zusammen mit ihrem Sohn David ihren `avant text´, den vor-Text ihres Schreibens. Natürlich nicht ohne die Bilder in einer Weise zu kommentieren, wie es für fast alle ihrer literarischen Werke typisch ist.

„Der Film ist ein Zeit- und Milieutableau `des neuen bürgerlichen Lebens‘ […] Die Schriftstellerin, eine Literaturlehrerin an einem Collège, schreibt noch „im Geheimen“. Was man auf den Bildern sieht, […] es ist die Matrix ihres zukünftigen Schreibens.“ liberation.fr

„Ernaux ist hier wieder die Soziologin einer sehr intimen Weltbeschreibung“
„Man merkt sehr stark, dass dieses Schreiben für sie nicht wichtig, sondern überlebenswichtig war in dieser Zeit.“ „Ernaux erarbeitet sich quasi eine eigene Perspektive auf ihre eigene Familie, auf ihre Erinnerung und auch auf ihre Sehnsucht und Traurigkeit damals, die man in den Bildern nicht sieht.“

Frankreich 2022 · R & S: Annie Ernaux & David Ernaux-Briot · K: Philippe Ernaux · mit Annie und Philippe Ernaux, David Ernaux-Briot u.a. · ab 0 J. · 61′ ·  franzOmU

Mi 27. Dezember 2023  • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Links:
Besprechung in Kulturzeit auf 3 SAT
Beitrag auf Deutschlandradio Kultur

 

Annie Ernaux

Nobelpreis für Literatur 2021
Autorin von rund zwanzig Romanen und Erzählungen wird von vielen als die wichtigste literarische Stimme Frankreichs angesehen. Für Der Platz wurde sie mit dem Prix Renaudot und für ihr Gesamtwerk mit dem Marguerite Yourcenar-Preis
ausgezeichnet. In jüngster Zeit erhielt sie den Internationalen Strega-Preis, den Prix Formentor, den Französisch-Amerikanischen Übersetzungspreis und den Warwick-Preis für Frauen in der Übersetzung für Die Jahre,
das auch auf der Shortlist für den Man Booker International Prize stand.

weiteren Werke

Exteriors
Erinnerungen eines Mädchens
Eine Frau
Sich verliere
Eine vollkommene Leidenschaft
Das Ereignis
Die Scham
Das andere Mädchen

Kürzlich wurden zwei ihrer Bücher zu preisgekrönten
Filmen verarbeitet: Eine vollkommene Leidenschaft von Danielle Abrid
(Cannes Label 2020);
Das Ereignis von Audrey Diwan (Goldener Löwe von Venedig 2021)

David Ernaux-Briot

Sohn von Annie und Philippe Ernaux, wurde 1968 geboren. Er wuchs in Annecy und später in Cergy-Pontoise auf. Nach seinem Studium der Naturwissenschaften beschloss er, sich auf den  Wissenschaftsjournalismus
zu konzentrieren und wirkte an spezialisierten Fernsehsendungen wie E=M6 und C‘est pas Sorcier mit. Er schrieb und führte Regie bei den Miniserien Théâtre des Machines, Corpus, Art et Sport für die Plattformen  Universcience und CANOPE. The Super 8 Years ist sein erster Dokumentarfilm
in Spielfilmlänge

Heimweh

Aus dem Exil in die Heimat
Wenn Ervin Tahirović von Foča träumt, dann sieht er vor seinem inneren Auge Bilder einer Stadt, die es so nicht mehr gibt, und trifft Verwandte, die dort nicht mehr leben. Nach mehr als zwanzig Jahren reist der Filmemacher in die verlorene Heimat, aus der er damals als Kind mit Eltern und Bruder während des Bosnienkrieges fliehen musste. Nach der Teilung des Landes fiel Foča nicht der Föderation zu, sondern der Serbischen Republik. In der vor Jahren umbenannten „Stadt der Serben“ waren Bosniak*innen nicht mehr willkommen, und die Rückkehr der Familie war somit hinfällig.
Von der Kamera begleitet begibt sich Tahirović zurück an die vertrauten Plätze, gräbt nach verblassten Kindheitserinnerungen und bewegt sich zugleich als Fremder durch die Stadt, deren Gerüche und Geräusche ihn im Schlaf heimsuchen: Umgeben von den Spuren der Vergangenheit versucht der Filmemacher, das heutige Zusammenleben in Foča zu verstehen. Er zeichnet die Geschichte seiner Flucht nach und sucht damalige Zwischenstationen auf, die in der von Wäldern umgebenen Gebirgsregion teils nur noch als Ruinen existieren. Dabei begegnet er Verwandten und Menschen, die seine Familie beherbergt hatten: Dagebliebene, die von schmerzlichen Verlusten erzählen und aufgewühlt von traumatischen Erinnerungen an den Krieg ratlos verstummen.
Konfrontiert mit aufkommenden Ängsten des eigenen verdrängten Kriegstraumas teilt Tahirović seine Gedanken über einen Off-Text, der sich wie eine rahmende Folie über die Bilder legt. Eine „Selbstfindungsreise“, so beschreibt es der Vorspann.
Heimweh erzählt entlang einer persönlichen Geschichte von Aufarbeitung – ein Prozess, der dem Film selbst innewohnt.
(Katalogtext, jk)

»Dieser Film ist die Wiederentdeckung meiner verdrängten und schmerzhaften Vergangenheit. Er ist eine Selbsttherapie durch künstlerische Aufarbeitung eines Teils meiner Biografie, zu dem ich keine Gefühle mehr hatte. Er ist die Wiederfindung meiner Seele, die ich wegen zu viel Schmerz und Überforderung aufgeben musste, damit ich überleben kann. Er ist eine Versöhnung mit der Vergangenheit und die Wiederverbindung zu den Wurzeln, die mir vor langer Zeit in meiner Kindheit gewaltsam ausgerissen wurden.«
Ervin Tahirović, TEXT DIAGONALE 2018

Österreich 2017 · R & Db: Ervin Tahirovic · K: David Lindinger · o.A. · dt und bosnOmU · 80′

Mi 22. November 2023  • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Geographies of Solitude

Ervin Tahirović

Regie, Geboren in Foca, Serbien.

Festivals & Auszeichnungen

  • 2022: This Human World
  • 2017 Sarajevo Film Festival
  • 2017 Diagonale – Festival des österreichischen Films
  • 2018 Österreichisches Filminstitut /Film Festival Kitzbühel:
    Beste Regie Österreich

Ein Interview mit dem Regisseur zum Film

Bekar Evi - Das Junggesellenhaus

Sieben kurdische Männer in einem Haus
Sieben kurdische Bauarbeiter und Straßenhändler bewohnen in Istanbul gemeinsam ein sogenanntes Bekar Evi, ein „Junggesellenhaus“. Kurz bevor die Männer zum Opferfest in ihre Dörfer zurückkehren, wird ihr Alltag von einem ungewöhnlichen Gast durchkreuzt: einer schneeweißen Katze mit verschiedenfarbigen Augen, wie sie nur in der ostanatolischen Provinz Van vorkommt. Einer der Männer, dessen Eltern ihn zwangsweise verheiraten wollen, hat sie sich aus der Heimat beschafft – als Geschenk für seine Geliebte in Istanbul.
Der dokumentarisch-melodramatische Film gibt Einblicke in eine Gemeinschaft von Männern, die aufgrund ihrer Herkunft wenig Aussicht auf ein selbstbestimmtes Leben haben. Doch mit körperlicher Vitalität und Humor meistern sie ihr Schicksal.

Deutschland 2018 · R, Db & S: Dirk Schäfer · K: Nikola Krivokuca · OmU · 76′

Mi, 25. Oktober 2023  • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Dirk Schäfer

Darsteller, Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt, Ton, Musik, Produzent, Produktionsleitung
* 1961 in Gelnhausen

Filmografie (Auswahl)

  • 2019 Bekar Evi – Das Junggesellenhaus
  • 2017 Forever Flüchtling
  • 2012 Eine Art Liebe
  • 1993 Achtundzwanzichtaused Wünsche
  • 1990/1991 Die Weissagung
  • 1990/1991 Wilma wohnt weit weg
  • 1990 Home Stories
  • 1984 Kinder der Besänftigung
  • 1983 Der verlorene Fluß

Donkeyote

Ein Mann, ein Esel und ein Hund auf weiter Reise
Manolo führt ein einfaches Leben im Süden Spaniens. Er liebt zwei Dinge: seine Tiere, vor allem seinen Esel Gorrión („Spatz“), und lange Wanderungen durch die Natur. Gegen den Rat seines Arztes beschließt er, eine letzte Wanderung zu planen, indem er den Pfad der Tränen zurückverfolgt, einen brutalen, erzwungenen 2200-Meilen-Treck durch die Cherokee-Nation der amerikanischen Ureinwohner. Auch wenn die Vereinigten Staaten eine sehr weite und ehrgeizige Reise zu Fuß sind, möchte Manolo seine liebsten Wandergefährten Gorrión und seinen geliebten Hund Zafrana mitnehmen. Doch wie soll er das kleine Hindernis des Eseltransports überwinden, Manolos chronische Arthritis, eine Vorgeschichte von Herzinfarkten und Gorrións Angst vor Wasser? Während ihres Abenteuers findet Manolos wundersame Freundschaft mit seinen Tieren ein wunderbares Gleichgewicht, und Mensch und Tier trotzen gemeinsam unerschrocken der rauen Landschaft. Werden sie den amerikanischen Westen finden? Und was noch wichtiger ist, werden sie in der Lage sein, das Leben so zu sehen, wie es ist, und nicht, wie es sein sollte?

Deutschland/Großbritannien/Spanien 2017 · R: Chico Pereira · Db: Chico Pereiera, Manuel Pereira, Gabriel Molera · K: Julian Schwantz • Mit Manuel Molera Aparicio, Gorrión, Zafrana, Paca Molera Pereira, Mamen Gómez Heredia · OmU · 85′

Mi, 27. September 2023  • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Jacquelyn Mills
Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt, Produzentin

Geboren 1984 in Sydney, Nova Scotia, Kanada. Sie studierte Film und arbeitet als Regisseurin, Kamerafrau, Editorin und Sounddesignerin. Nach dem mittellangen Film In the Waves (2017) ist Geographies of Solitude ihr Langfilmdebüt.

Filmografie
2017 In the Waves (Dokumentarfilm) · 2017 Leaves (Kurzfilm) · 2013 For Wendy (Kurzfilm)

Auf der Homepage von Discover Halifax findet man elf interessante Fakten zu Sable Island. Zum Beispiel ist noch immer ungeklärt, wie die rund 500 Wildpferde auf das 42 Kilometer langen Eiland kamen. Weitere Informationen zum Natinalpark findet man auf der Homepage des Sable Island National Park Reserve.

Festivals & Auszeichnungen 2022

  • Berlinale Forum – Caligari-Filmpreis & CICAE Art Cinema Award & Preis der Ökumenischen Jury
  • Hot Docs, Toronto, Kanada – Bester Kanadischer Feature Film & Earl A. Glick Preis für die beste aufstrebende Regiesseurin
  • Jeonju International Film Festival, South Korea – Großer Jurypreis im Int. Wettbewerb
  • Las Palmas de Gran Canaria International Film Festival, Spain – CIMA Auszeichnung für den besten Film
  • Vilnius Film Festival, Lithuania
  • Art of the Real, New York, USA

Rivers and Tides

Ein Film von fließender Geschmeidigkeit und kristalliner Schönheit
Der schottischen Künstler Andy Goldsworthy ist vor allem für seine Landart-Projekte bekannt. Das Material, das er verwendet nimmt er ausschließlich aus der Natur. Steine, Blätter, Zweige, Blüten, Wasser, Eis. Er arrangiert, flechtet, baut; und lässt dann die Kräfte der Natur wirken. Veränderungen der Werke sich Teil seines Konzeptes.
Thomas Riedelsheimer fängt vier Jahre lang genau das ein, begleitet ihn bei seiner Arbeit und dokumentiert seines Schaffensprozesse. Er begleitete ihn bei Projekten in den USA, Kanada, Frankreich und Schottland. Ähnlich wie die Fotobände über Goldsworthys Werk fängt Riedelsheimer wunderbare Bilder ein und bewahrt so ein Stück der vergänglichen Kunstwerke, unterstützt von der Musik von Fred Frith.
»In makelloser Ruhe und Beschaulichkeit observiert Riedelsheimer den Künstler und seine Arbeit mit zurückhaltender Farbigkeit. Er versucht, so wenig wie möglich hinzuzutun, eine Kranfahrt wirkt schon fast luxuriös. Besonders wohltuend: dass Riedelsheimer der Versuchung, selbst Kunst machen zu wollen, nicht erliegt.« (Begründung der Jury: Deutscher Kamerapreis 2001)
Deutscher Filmpreis 2003: Bester Dokumentarfilm, Beste Kamera

Deutschland 2000 · R, Db & K: Thomas Riedelsheimer · Musik: Fred Frith • Mit Andy Goldsworthy u.a. · ab 0 J. · engl.OmU · 94′

Mi 26. April 2023  • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Rivers and Tides

Thomas Riedelsheimer

Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Seit 1986 ist Thomas Riedelsheimer freiberuflich als Filmemacher, Kameramann und Cutter im In- und Ausland tätig. Zu seinen eigenen Filmen zählen Borderline (1986/87), Dann werden sie schon schießen (1988/89), Sponsae Christi – Die Bräute Christi (1992), Bildschirmherrschaft (1993), Schweben heisst Lieben (1994), Lhasa und der Geist Tibets (1996/97), Metamorphosen (1997). Für Sponsae Christi wurde Riedelsheimer mit dem Adolf-Grimme-Preis in Gold ausgezeichnet. Zu seinen weiteren Auszeichnungen gehören der Deutsche Videokunstpreis (Kamera) 1993 und der Filmförderpreis der Stadt München 1998. Rivers and Tides erhielt den Deutschen Kamerapreis 2001.

Mehr Informationen beim Filmverleih Piffl-Medien

Der Atem des Meeres

Ein poetisches Portrait des Wattenmeeres

Eine Region voller Gegensätze. Das Wattenmeer ist geprägt von Stille und Sturm, Leben und Tod und natürlich vom Ein- und Ausatmen des Meeres, dem bestimmenden Faktor, nach dem sich alles richtet.

Im Rhythmus von Ebbe und Flut erzählt DER ATEM DES MEERES vom Wattenmeer, von den Menschen und der Natur, die diese außergewöhnliche Region formen. Von Den Helder in den Niederlanden über die ostfriesischen Küsten bis nach Skallingen in Dänemark erstreckt sich eine Ansammlung von Inseln und Gemeinden, wovon jede ihren eigenen Charakter, ihre eigenen Besonderheiten hat. Doch sie alle gehören zum Wattenmeer, das seit 20 Jahren den Titel UNESCO-Weltnaturerbe trägt.

Ständig wechselndes Licht, Nebel und Wind verändern die Landschaft und Lebensräume von Seehunden, Krabben und Flundern. Das komplexe Binnensystem, mit seiner einzigartigen Flora und Fauna birgt unzählige Geschichten und einzigartige Lebensformen.

Mal richtet sich der Blick auf kleine Details, mal auf das große Ganze. Zugvögel und Touristen, die jedes Jahr kommen und gehen, die Veränderung der Farbgebung von Watt und Wasser und der faszinierende Wechsel der Gezeiten sind ein sich wiederholender Zyklus. Es gelingt dem Film, ganz ohne erklärende Worte oder Interviews in eine Welt im stetigen Wechsel von Wasser und Land einzutauchen.

In Aufwand und technischer Brillanz in Bild und Ton übertrifft der Film alle bisher bekannten Formen von Naturdokumentationen. DER ATEM DES MEERES ist ein wahres Kinodokumentarerlebnis für Jung und Alt und wird die Neugier auf diesen einzigartigen Lebensraum Wattenmeer und das Verständnis für seinen Erhalt beim Publikum anregen und verstärken.

SILENCE OF THE TIDES · Niederlande/Deutschland 2020 · R: Pieter-Rim de Kroon · Db: Pieter-Rim de Kroon, Michiel Beishuizen · K: Dick Harrewijn · dF · 105′

Mi 22. März 2023  • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Der Atem des Meeres

Pieter-Rim de Kroon

Regie, Drehbuch, Produktion
Der niederländische Filmemacher ist 1955 geboren.

Filme (Dokumentationen, u.a.):

The Iconic Cocktail, The Nolet Chronicles 2091, Travelogue Man, 36 VIEWS, F.I.S.H.I.N.G., A day in a life, Dutch Light, On the road

Preise – Der Atem des Meeres:
Special Jury Mention – IDFA 2020
Guangzhou International Documentary Film Festival 2021

Mehr Informationen auf der Website des Regisseurs.

The Two Sights

Audio-visuelle Sammelstücke von den Äußeren Hebriden

Laut Abspann wurde das Material für The Two Sights zwischen 2017 und 2019 auf den Äußeren Hebriden „gesammelt“. Aber um was für Material handelt es sich? Zum einen sind da die atemberaubenden 16-mm-Landschaftsaufnahmen: Felsklippen, Strände und Ebenen, Pflanzen und Tiere, Häuser und Schiffe, wechselhafte Lichtverhältnisse. Zum anderen – aufgenommen mit einem Mikrofon, das in den ersten Einstellungen zu sehen ist – sind da die Geräusche: kreischende Vögel, brausender Wind, tosendes, gurgelndes, tröpfelndes Wasser – und aus dem Off erzählt eine Stimme, auf Englisch und Gälisch, von Hundeskeletten, versunkenen Dörfern, sterbenden Angehörigen; manchmal erklingen auch Lieder, hört man den Seewetterbericht, oder es herrscht Stille. Wie in jeder guten Sammlung geht es nicht um die einzelnen Bestandteile, es geht um Schnittpunkte, um die Krähe im Stacheldraht, die eine bisher unerzählt gebliebene Geschichte evoziert, um den Gesang einer Frau, der das Wasser leicht zu kräuseln scheint, und es geht darum, dass jede Erzählung von der rauschenden Luft getragen wird. Sehen, mit Augen und Ohren – zwei Perspektiven, die ineinanderfließen. (jl)

»Bonnetta gelang es, seinem Film eine schwebende Qualität zu geben, die den Ort des Film-Sehens mit dem Ort des Gefilmten durchlässig macht. Dazu braucht es nur die Kamera und das Mikrofon, das sich gleich zu Beginn in der Bildmitte platziert. Ein Mikrofon, dass zu einer Brücke zwischen Ort und Zeit wird.« (Elisabeth Nagy, baf-berlin.de)

„Die Äußeren Hebriden galten vor langer Zeit als ein Ort der Seher, die die Gabe der zweiten Sicht hatten: die Fähigkeit, zukünftige Ereignisse vorherzusagen. Diese Vorhersagen wurden dem Seher in Form von Visionen oder überirdischen Klängen offenbart. Manchmal wurden sie auch in Form von Vorhersagen aus Tieren, Knochen oder Wettermustern abgeleitet, die das Kommende voraussagten. Ausgehend von diesen Geschichten ist THE TWO SIGHTS ein Porträt einer sich rasch verändernden maritimen Umwelt mit ihrer akustischen Ökologie und Kultur im Wandel in einer Zeit der ungewissen Zukunft. Lange Super-16-mm-Kamerabilder, verwoben mit ortsspezifischen Feldaufnahmen und Interviews, die aus den verschwundenen mündlichen Überlieferungen mehrerer Hebridengemeinden gesammelt wurden, werden zu einer Collage zusammengestellt, um die Beziehung zwischen der Erzählung eines Ortes, der Umwelt und den wechselseitigen Einflüssen, die sie aufeinander ausüben, zu untersuchen.“ (cineuropa.org)

AN DÀ SHEALLADH · Kanada 2020 · R, Db, K, S & T: Joshua Bonnetta · engl.OmU · 90′

Mi 22. Februar 2023 • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat The Two Sights

Joshua Bonnetta
Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt, Musik, Produzent

geboren 1979 in Kanada ist ein interdisziplinär arbeitender Künstler, der mit Sound and Bilder Installation, Performances und traditionelle Kinofilme schafft. Seine aktuelle Arbeit erkundet Umweltgeräusche durch akustische Ökologie und Bioakustik-Frameworks.

Seine Arbeiten wurden gezeigt
Berlinale, BFI London Film Festival, Institute of Contemporary Art (London), Museum of Modern Art (New York), New York Film Festival, Toronto International Film Festival, Whitechapel Gallery und auf verschiedenen Festivals, Museen and Gallerien international.

Er ist Associate Professor am Department of Cinema, Photography, & Media Art am Ithaca College. Seine Sound-Arbeitenwurden bei Shelter Press, Canti Magnetici und Senufo Editions publiziert.

Filmografie
2017 El Mar la Mar (Dokumentarfilm) · 2013 Remanence I – (Lost, Lost, Lost, Lost) (Kurzfilm) · 2012 Strange Lines and Distances (Kurzfilm) · 2011 American Colour

Seine Website

Geographies of Solitude

Die Natur auf Sable Sands vor der Küste Kanadas

Zu einem Zeitpunkt, an dem die Umweltkrise dringlicher ist als je zuvor, glaube ich mit ganzem Herzen daran, dass das Kino einen Beitrag zum Heilungsprozess zwischen den Menschen und der Natur leisten kann.
Jacquelyn Mills

Seit Jahrzehnten lebt Zoe Lucas überwiegend alleine auf Sable Island, einer rauen Insel vor der Ostküste Kanadas. Lucas‘ Studien zur Biodiversität haben sie zu einer geschätzten Expertin gemacht. Die Regisseurin begleitet sie und dokumentiert, wie Lucas jedes Detail des Lebens auf der Insel intensiv studiert – auch und immer mehr die kontinuierlich angeschwemmten Mengen an Müll. Unablässig sammelt die autodidaktische Wissenschaftlerin ihn ein und säubert, sortiert und katalogisiert die Fundstücke für eine Langzeitstudie über die Entwicklung der Verschmutzung des Nordwestatlantiks. Mills hält diese akribische Arbeit auf 16-mm fest und experimentiert dabei selbst mit innovativen, umweltfreundlichen Filmtechniken. Wissenschaft und Kunst verschmelzen in den Aktivitäten der beiden Frauen und bereichern sich gegenseitig.

Auszug aus der Begründung der Caligari-Filmpreis-Jury: „Ein schillernder Käfer, der sich seinen Weg durch die Sanddünen ertastet, die sanften Bewegungen der Gräser im Wind, ein strahlender Sternenhimmel ohne den Lichtsmog der Stadt: Jacquelyn Mills’ lyrische 16-Millimeter-Filmaufnahmen öffnen unsere Sensibilität für den Beziehungsreichtum der materiellen Welt. Sie lässt unsere Sinne teilhaben am Werden und Vergehen des Lebens und zieht uns hinein in das komplexe Zusammenspiel einer Ökologie. Der Film begleitet die Forscherin Zoe Lucas, die seit vielen Jahren allein auf der sonst unbewohnten Sable Island vor der Küste Kanadas lebt und mit großer Hingabe die Spuren jedes Lebewesens dokumentiert. Ebenso verzeichnet sie rigoros die Belastung der Umwelt durch Plastikmüll, der in erschreckenden Mengen an die Ufer der Insel gespült und von der Forscherin in minutiöser Arbeit aufgelesen wird. Dabei schafft Mills mehr als ein intimes Porträt, sie erforscht zugleich in experimenteller Weise die Empfindsamkeit des filmischen Materials im Kontakt mit seiner Umgebung. In diesen außergewöhnlichen Figurationen von Erfahrung wird eine unaufdringliche Schönheit spürbar, die zur Verantwortung für die Welt aufruft.“

Kanada 2022 · R & K, S: Jacquelyn Mills · mit Zoe Lucas · ab 0 J. · 103′

Mi 25. Januar 2023  • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Geographies of Solitude

Jacquelyn Mills
Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt, Produzentin

Geboren 1984 in Sydney, Nova Scotia, Kanada. Sie studierte Film und arbeitet als Regisseurin, Kamerafrau, Editorin und Sounddesignerin. Nach dem mittellangen Film In the Waves (2017) ist Geographies of Solitude ihr Langfilmdebüt.

Filmografie
2017 In the Waves (Dokumentarfilm) · 2017 Leaves (Kurzfilm) · 2013 For Wendy (Kurzfilm)

Auf der Homepage von Discover Halifax findet man elf interessante Fakten zu Sable Island. Zum Beispiel ist noch immer ungeklärt, wie die rund 500 Wildpferde auf das 42 Kilometer langen Eiland kamen. Weitere Informationen zum Natinalpark findet man auf der Homepage des Sable Island National Park Reserve.

Festivals & Auszeichnungen 2022

  • Berlinale Forum – Caligari-Filmpreis & CICAE Art Cinema Award & Preis der Ökumenischen Jury
  • Hot Docs, Toronto, Kanada – Bester Kanadischer Feature Film & Earl A. Glick Preis für die beste aufstrebende Regiesseurin
  • Jeonju International Film Festival, South Korea – Großer Jurypreis im Int. Wettbewerb
  • Las Palmas de Gran Canaria International Film Festival, Spain – CIMA Auszeichnung für den besten Film
  • Vilnius Film Festival, Lithuania
  • Art of the Real, New York, USA

Die Geheimnisse des schönen Leo

Das dubiose Leben eines Bonner Politikers

Leo Wagner war Mitbegründer der CSU und Bundestags-Abgeordneter in Bonn. Die vom Krieg geprägte Politiker-Generation erfüllte tagsüber ihre Pflicht an der politischen Front des Kalten Krieges, danach entspannte man sich im Kölner Nachtleben mit jungen Frauen und altem Champagner. Die Familien zuhause dienten oft nur mehr als Fassade. Bei Leo hatte der aufwendige Lebenswandel seinen Preis. Er verwickelte sich in dubiose Geschäfte und Stasi-Kontakte.

Sein Enkel, der junge Filmemacher Benedikt Schwarzer, legt nun die politischen und persönlichen Hintergründe eines der größten politischen Skandale der Bonner Republik frei. Benedikt Schwarzers Recherchen über Leo Wagner eröffnen einen ungeschönten Blick auf die Widersprüche seiner Generation und die Abgründe der Bonner Republik.

»Entstanden ist ein berührender Film über die dunklen Flecken in Familienerinnerungen, über deutsche Politgeschichte, menschliche Abgründe und Identität. Er eröffnet einen ungeschönten Blick auf die Widersprüche von dessen Generation und in die Abgründe der Bonner Republik.« (phoenix)

Deutschland 2018 · R & Db: Benedikt Schwarzer · K: Julian Krubasik · ab 0 J. · 84′

Mi 28. Dezember 2022  • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Die Geheimnisse des schönen Leo

Die guten Feinde – Mein Vater, die Rote Kapelle und ich

Porträt einer Gruppe von Freunden, die das Leben liebten und sich in den dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte entschieden haben, ihrem Gewissen zu folgen

Günther Weisenborn, Schriftsteller und Mitglied der Widerstandsgruppe Rote Kapelle, entkommt der Hinrichtung durch die Nazis nur knapp. 59 seiner Mitstreiter werden hingegen 1942 hingerichtet, unter ihnen seine Freunde Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack. Bis zu seinem Tod 1969 versucht Weisenborn zusammen mit Adolf Grimme, die zu Tode verurteilten Freunde zu rehabilitieren und den verantwortlichen Nazi-Richter Manfred Roeder zur Rechenschaft zu ziehen – vergeblich. Denn in der BRD gelten die Mitglieder der Gruppe als KGB-Agenten und Vaterlandsverräter. Selbst „Stern“ und „Spiegel“ gehen den Naziseilschaften, die bis in den BND reichen, auf den Leim. Und in der DDR wird die Geschichte der Widerstandskämpfer für kommunistische Propaganda missbraucht. Erst 2009 werden die Urteile gegen die Rote Kapelle offiziell aufgehoben.

Der Filmemacher Christian Weisenborn erzählt in „Die guten Feinde“ das dramatische Leben seines Vaters, der für die 68er-Generation zum Vorbild werden sollte: die Geschichte eines jungen Intellektuellen, der Ende der 20er Jahren aus der rheinischen Provinz nach Berlin kommt, um hier Schriftsteller zu werden, und das Leben in der Bohème in vollen Zügen genießt, bis die Machtergreifung der Nazis alle Illusionen zerstört. Tagebuchaufzeichnungen, Briefe, Fotos, privat gedrehtes Filmmaterial und neu geführte Interviews mit Hinterbliebenen der Roten Kapelle geben intime Einblicke in die Ängste und Träume Weisenborns, seiner Frau Joy und ihrer mutigen Freunde – und erzählen von den abenteuerlichen Widerstandsaktionen der Gruppe, der es vor allem darum ging, über Hitlers Gräueltaten aufzuklären und eine Gegenöffentlichkeit gegen die Propaganda der Nazis zu schaffen.

„Die guten Feinde“ ist das vielschichtige Porträt einer Gruppe von Freunden, die das Leben liebten und sich in den dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte entschieden haben, ihrem Gewissen zu folgen und mutig gegen das Unrecht der Nazis aufzubegehren.

Deutschland 2017 · R & Db: Christian Weisenborn · K: Roland Wagner, Marcus Winterbauer · ab 12 J. · 93′

Mi 23. November 2022  • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)
Plakat Die guten Feinde

Christian Weisenborn Regie, Regie-Assistenz, Drehbuch, Kamera, Bauten, Schnitt, Ton, Produzent, Produktionsleitung, Aufnahmeleitung

Weisenborn wurde 1947 in Berlin als Sohn des Schriftstellers und Widerstandskämpfers Günther Weisenborn (1902-1969) geboren. Von 1967 bis 1969 arbeitete er als Regie- und Dramaturgie-Assistent an den Städtischen Bühnen in Flensburg und Nürnberg. 1970 nahm er in München ein Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) auf, das er 1974 abschloss. Im gleichen Jahr gründete er die Nanuk-Filmproduktion, mit der er sich auf die Realisierung von Dokumentationen spezialisierte. Seinen ersten Kino-Dokumentarfilm drehte Weisenborn gemeinsam mit Erwin Keusch: „Was ich bin, sind meine Filme“ (1976-78), ein Porträt des Filmemachers Werner Herzog.

In erster Linie konzentrierte Weisenborn sich aber aufs Fernsehen, für das er zahlreiche Reportagen und Dokumentarfilme drehte.

Filmografie (Auszug) 1972 Doppelschach · 1983 Vom Ende der Zeit · 2015 Sink or Swim · 1991 Mein Vater, mein Land · 1999 Der Ball ist ein Sauhund · 2010 Was ich bin ind meine Filme · 2014 Verräterkinder · 2017 Die guten Feinde

Das Leben drehen

Wie mein Vater versuchte, das Glück festzuhalten

Als ich volljährig wurde, schenkte mir mein Vater einen Film über mein Leben. Ich war darüber sehr wütend, denn ich hatte immer vergeblich versucht, seiner Kamera zu entkommen. Mein Vater, Filmemacher Joschy Scheidegger, dokumentierte unsere Familie obsessiv. Erst sein Tod bewog mich dazu, nicht nur sein riesiges Filmarchiv, sondern auch seine Kamera zu übernehmen. «Das Leben drehen» ist eine persönliche Spurensuche nach den überraschenden Wahrheiten, die sich hinter den Bildern meines Vaters verstecken. Eine philosophische Familien-Geschichte über das Filmen und den Versuch, das Leben festzuhalten.

Ich wollte nie einen Film über meinen Vater machen. Und, obwohl ich Drehbuchautorin war, hatte ich eine regelrechte Abneigung gegen Kameras. Denn seit der Sekunde meiner Geburt hatte mein Vater jeden Schritt meines Lebens mit seiner Kamera verfolgt. Er filmte nicht nur mich und unser Familienleben ausführlich. Er dokumentierte immer obsessiver auch seine Vergangenheit. So nannte er tatsächlich auch die 19 Bundesordner umfassende Dokumentation über sein Leben, die er mir überlassen würde. Vielleicht würde ich eines Tages einen Film daraus machen. Nie im Leben, dachte ich mir…

Erst als war mein Vater starb, war es mir plötzlich ein Bedürfnis, wirklich etwas über ihn zu erzählen. Nämlich meine Geschichte mit ihm. Ich nenne es die Gegenwart. Ich wollte unbedingt verstehen, was meinen Vater antrieb, sich und unsere Familie so obsessiv zu dokumentieren und damit auch immer ein Stück weit zu inszenieren.
Ich habe mich durch sein riesiges Archiv an Filmen gewühlt; vermutlich auch, um den Tod des geliebten Vaters ein klein wenig ungeschehen zu machen. Andererseits war es mir erst jetzt möglich, die Bilder zu hinterfragen, die er von unserer Familie gemacht hatte. Zum ersten Mal schaffte ich es, hinter das Bild zu schauen, das ich selber von unserer Familie hatte. Das Bild einer restlos gelungenen Familie. Lustig, bunt und glücklich. Ich bin aufgewachsen in der Schweiz der 70er Jahre, in einer aufgeklärten 68er Familie, in der über alles gesprochen werden konnte… Dachte ich. Bis ich merkte, dass es Tabus gab, die nicht ins «offizielle Bild» der glücklichen Familie passten. Und die unterscheiden sich wohl nicht von denjenigen anderer Familien: Der Tod eines Sohnes, das Scheitern einer Ehe und den damit verbundenen Gefühlen von Verlust, Trauer und das Gefühl versagt zu haben.

Warum dokumentieren und inszenieren wir unser Leben? Diese Fragen haben durch die Dominanz neuer Medien eine neue Relevanz bekommen. Nicht nur für unsere Familie sondern für unsere ganze Gesellschaft.

Seit den 70er Jahren landet immer mehr Privates in der Öffentlichkeit und heute durchdringt die Öffentlichkeit in Form neuer Medien und sozialer Netzwerke unser ganzes Privatleben. Das Inszenieren des eigenen Lebens findet auf allen möglichen Plattformen statt. Was haben wir hinter den offiziellen Bildern auf Facebook, Twitter etc. zu verstecken? Was wollen wir damit verbannen? Wie gehen wir damit um, dass unser Privatestes öffentlich wird? Und
warum inszenieren wir unser Leben, statt es einfach zu leben?

Ich bin ein Kind der Mediengesellschaft und sehe meinen obsessiv filmenden Vater als einen Vorläufer dieser Entwicklung. «Das Leben drehen» ist mein persönlicher Beitrag zu diesem Thema.

Schweiz 2015 · R & Db: Eva Vitija · K: Stefan Dux · ab 6 J. · 77′ · OmU

 

Mi 19. Oktober 2022  • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Das Leben drehen

Eva Vitija
Regie und Drehbuch

wurde 1973 in Basel geboren, Tochter des Filmemachers Joschy Scheidegger

Filmografie (Auszug)
2009 Madly in Love (Drehbuch) · 2015 Das Leben drehen · 2021 Loving Highsmith

No U-turn

Menschen auf den Fluchtrouten in Afrika reden über ihre Beweggründe

Von Nigeria über Benin, Burkina Faso, Mali, Mauretanien und Marokko fährt der nigerianische Regisseur Ike Nnaebue erneut die Route ab, die er vor 21 Jahren auf dem Weg nach Europa eingeschlagen hat. Er trifft Frauen und Männer, die von ihren Wünschen und Träumen, aber auch von ihren Ängsten berichten. Mag diese Reise auch besser organisiert erscheinen als die erste, so ist sie genauso geprägt von langen Wartezeiten und Risiken. NO U-TURN richtet einen persönlichen Blick auf das heutige Migrationsgeschehen und hört den Menschen zu, die aus verschiedenen Beweggründen den Weg nach Europa auf sich nehmen.

»Mit seinem ersten Dokumentarfilm begibt sich Ike Nnaebue, bekannter und gefeierter Regisseur des nigerianischen Kinos, auf eine persönliche Reise. Als junger Mann nahm er die Route von Nigeria über Benin, Mali und Mauretanien nach Marokko, in der Hoffnung, von dort nach Europa zu kommen. Da ihm die Überfahrt zu riskant erschien, kehrte Nnaebue damals um und begann in Nigeria ein Filmstudium. 21 Jahre später besucht er die Stationen seiner damaligen Reise als Dokumentarist und versucht zu erfahren, was junge Menschen heute bewegt, sich diesen Strapazen und Gefahren auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft auszusetzen. In behutsam geführten Interviews erkundet er auch, welche Erfahrungen speziell junge Frauen auf der langen Reise machen und welche Träume und Nöte sie antreiben. Mit großem Respekt gegenüber seinen Protagonist*innen und einem feinem Gespür für die Präsenz seiner Kamera gelingt es ihm, intime Bilder und Situationen einzufangen, ohne dabei jemals voyeuristi sch zu sein. Abgerundet durch poetisch-dichte Off-Texte entsteht ein essayistischer und selbstreflexiver Travelogue, der die tiefe Sehnsucht einer ganzen Generation nach einem besseren Leben erahnen lässt.« Berlinale 2022

Deutschland/Frankreich/Nigeria/Südafrika 2022 · R & Db: Ike Nnaebue · K: Jide Akinleminu · 92′ · Englisch/Igbo/Französisch/Nigerianisches Pidgin OmeU

Mi 21. September 2022 • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat No U-turn

Ike Nnaebue
Der Regisseur, Drehbuchautor und Produzent wurde 1975 in Ojoto, Nigeria geboren. Er realisierte mehrere erfolgreiche Spielfilme, darunter Sink or Swim über illegale Migration und Menschenhandel, der auf dem Newark International Film Festival den Preis für den besten Spielfilm gewann. No U-Turn ist sein erster Dokumentarfilm. Mit diversen Ausbildungsangeboten und Workshops engagiert er sich für die Nachwuchsförderung im Bereich Film und gibt jungen Afrikaner*innen insbesondere sein Know-how im Smartphone-Filmemachen weiter.

Filmografie
2013 False · 2014 A Long Night · 2015 Sink or Swim · 2016 Wings of My Dream;  Kurzfilm · The Other Side · 2017 The Golden Fleece; Webserie · The Plan · 2018 DR Mekam · Loving Daniella · 2019 Besieged · 2022 No U-Turn; Dokumentarfilm

Stand Bio- & Filmografie: Berlinale 2022

Out in Ost-Berlin

Auch in der DDR erlebten die meisten Homosexuellen Angst und Schuldgefühle

1968 wird in der DDR der § 175, der die Homosexualität unter Strafe stellt, abgeschafft. Im real existierenden Sozialismus wird Homosexualität politisch zunächst als vernachlässigbares Thema behandelt. Die Kleinfamilie bildet den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Sozialisation. Schwule und Lesben leben auch in der DDR verborgen und wagen sich, wie im Westen auch, nur vereinzelt an die Öffentlichkeit. Vor dem Mauerbau knüpfen die Ost-Berliner noch gefährlich erscheinende Kontakte zu den West-Berlinern. Danach wird es stiller im schwulen Osten. Von der BRD und ihrer schwulen Emanzipationsbewegung beeinflusst und nur wenig zeitversetzt, bilden sich in der DDR Arbeitsgruppen zur Homosexualität.

OUT IN OST-BERLIN begleitet die Erzählungen von schwulen Männern und lesbischen Frauen durch die sozialistische DDR bis zum Mauerfall. Ihre unterschiedlichen Erfahrungen auf dem Weg zu einer selbstbewusst geouteten sexuellen Identität eint jedoch eine spezifische Perspektive: Sie werden vom wachsamen Auge der Stasi begleitet und ihre Schritte sind bis ins Bett hinein in unzähligen Akten-Dossiers notiert.

Deutschland 2013 · R & Db: Jochen Hick & Andreas Strohfeldt · K: Jochen Hick & Thomas Zahn · ab 12 J. · 94′

Mi 20. April 2022 • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Out in Ost-Berlin

Kleine Heimat

Über das fehlende Recht auf Wohnraum

Seit mehr als 60 Jahren lebt Hanni Isler in einer Wohnsiedlung am Rand der Stadt Zürich. Nun sollen die Häuser abgerissen werden und lukrativeren Bauten weichen, eine Versicherungsgesellschaft will Geld machen. Auch Rosa Zehnder und Kurt Schäfli müssen sich nach einer neuen Bleibe umsehen.

Zweieinhalb Jahre lang hat der Filmemacher Hans Haldimann seine drei 90-jährigen Hauptpersonen begleitet. 1957 sind sie hier eingezogen und ihre Kinder sind hier zur Welt gekommen und aufgewachsen. Sie erzählen aus ihrem Leben, von Glücksmomenten und Schicksalsschlägen; mal blicken sie wehmütig zurück, mal sorgenvoll in die Zukunft. So entstand das einfühlsame, mit der Handkamera sensibel und diskret eingefangene Porträt einer an Erfahrung reichen Generation, für die ihre Wohnung ein wichtiges Stück Heimat ist.

Ein zärtlicher und liebevoller Film, der tief berührt und zugleich wütend macht.

Schweiz 2020 · R, Db & K: Hans Haldimann • Mit Hanni Isler, Rosa Zehnder, Kurt Schäfli, · schweizerdeutsche.OmU · 93′

Mi 16. März 2022 • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Kleine Heimat

Barstow, California

Virtuos verwebt Komers Passagen aus der Autobiografie zu einer vielstimmigen Collage

BARSTOW, CALIFORNIA nimmt uns mit in die Welt des Lyrikers Stanley »Spoon« Jackson, der aus seiner Autobiographie By Heart vorliest, ohne selbst jemals im Bild zu sein. Geschrieben hat er sie im Gefängnis, in dem er seit 1977 wegen Mordes inhaftiert ist.

»Meine Haut fühlt sich warm und lebendig an, diesen September in San Quentin. Als wäre ich eine Eidechse, die sich auf einem großen Stein sonnt.« Zur Off-Stimme von Spoon Jackson blicken wir auf die Landschaftsbilder der sonnendurchtränkten kalifornischen Mojave-Wüste und der Kleinstadt Barstow, die an der Interstate 15 auf halber Strecke zwischen Los Angeles und Las Vegas liegt. In den Minen dort wird bis heute Gold abgebaut.

»Rainer Komers hat die Orte besucht, die in Jacksons kurzem Leben in Freiheit wichtig waren, und dort Bilder, Töne und Gespräche gesammelt. Virtuos verwebt er diese mit Passagen aus der Autobiografie zu einer vielstimmigen Collage, die eindringlich von Armut, Rassismus und Einsamkeit erzählt – und von der betörenden Schönheit der Wüste.« (Katja Wiederspahn, Viennale)

USA/Deutschland 2018 · R & K: Rainer Komers · Db: Rainer Komers, „Spoon“ Jackson · engl.OmU · 76′

Mi 16. Februar 2022 • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Barstow, California

Am Kölnberg

Eindringliches Porträt ungewöhnlicher Menschen

Respekt ist es nicht gerade, was den Bewohnern der Hochhaussiedlung »Am Kölnberg« in der Regel gezollt wird. Sie erleben eher Ablehnung, Vorurteile und Desinteresse und antworten mit Aggression, Abgestumpftheit, Alkohol. Am südlichen Ende Kölns, vor den Toren der Stadt, steht die Hochhaussiedlung, ein sogenannter Problemstadtteil. Auf engstem Raum leben hier die unterschiedlichsten Kulturen und Biografien nebeneinander.

Der Film begleitet über zwei Jahre hinweg vier Menschen am Kölnberg und dokumentiert ihr Leben in Höhen und Tiefen, den Kampf gegen die Sucht und das Überleben im Alltag. Mit ihrer Unvoreingenommenheit, ihrem Respekt und ihrer Offenheit gegenüber den Menschen, die sie filmen, ist den Regisseuren ein intensives Portrait außergewöhnlicher Charaktere gelungen, jenseits von Boulevard und Sozial-Drama. Daraus wurde ein spannender und preisgekrönter Dokumentarfilm, der Überraschungserfolg in der deutschen Dokumentarfilmlandschaft 2015.

Deutschland 2014 · R & Db: Laurentia Genske, Robin Humboldt · K: Laurentia Genske, Robin Humboldt, Johannes Waltermann · ab 12 J. · 89′

Mi 19. Januar  2022 • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Am Kölnberg

Teufelsland

Dokumentarisches Märchen nach der Sage der Brüder Grimm »Die Werwölfe ziehen aus«

Eine Reise auf den Spuren eines Mythos in die Weite von Lettland und Estland, wo heute noch der Werwolf umgeht. Dem Mann wachsen spitze Zähne, ein zottiges Fell und scharfe Klauen. Dann bricht es aus ihm heraus, das wilde Tier. Eine blutrünstige Bestie, so begegnet uns heute der Werwolf im Kino. Doch für unsere Vorfahren gab es ihn wirklich. Im sagenumwobenen Livland – heute ein Teil von Lettland und Estland – geht noch immer der Werwolf um. Zwei junge Letten, folgen seinen Spuren durch postkommunistische Städte und tiefe Wälder. Sie begegnen außergewöhnlichen Menschen, die noch mit der Natur und der heidnischen Tradition verbunden sind. Die estnische Völkerkundlerin Merili Metsvahi beleuchtet die Kulturgeschichte. Der Historiker Carlo Ginzburg entdeckt in Venedig eine ganz andere Facette des Mythos. Hinter der Anklage des Teufelspakts enthüllt er die gutartigen Werwölfe. Wenn am Johannistag, in der hellsten Nacht des Jahres, überall im Land die Feuer brennen, feiern Jung und Alt die Sonnenwende.

Deutschland 2008 · R: Gisa Schleelein · Db: Gisa Schleelein · K: Lars Barthel • Mit Ieva Rulle, Andis Deme, Merili Metsvahi, Carlo Ginzburg, Davis Stalts und Band „Vilkaci“, Aldis Kevins, Ligita Beitina, Pastor Atis Grinbergs, Anatols, Ivars Fermanis, Kaika Laine u.w. · keine Angabe J. · 90′

Mi 15. Dezember 2021 • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Teufelsland

Die Geschichte vom weinenden Kamel

Bewegende Geschichte aus der Mongolei
Die Geschichte vom weinenden Kamel

In der Wüste Gobi, tief in der Mongolei, bringt ein Kamel ein Junges zur Welt. Aber die geschwächte Mutter verstößt ihr Junges, das ohne die nahrhafte Muttermilch gleichwohl keine Überlebenschance hat. Um das kleine Kamel zu retten, besinnen sich die Nomaden eines alten, mystischen Brauchs: Mit seiner poetischen Musik soll ein Geigenspieler die Kamelmutter zu Tränen rühren und damit ihr Herz erweichen.

»Die Mongolin Byambasuren Davaa und der Italiener Luigi Falorni realisierten die märchenhafte Story über die existenzielle Wichtigkeit von familiärer Liebe und Geborgenheit als ihren Abschlussfilm an der Filmhochschule in München. Doch dass die Dokumentation, über ein von der Mutter verstoßenes weißes Kamelfohlen, soviel Anklang finden könnte, hätten sie sich wahrscheinlich nie träumen lassen. So lief der Film auf vielen internationalen Festivals mit großem Erfolg, wurde mit dem Bayrischen Filmpreis in der Kategorie Dokumentarfilm ausgezeichnet und von der Mongolei offiziell als Anwärter auf den Oscar eingereicht.« (filmstarts)

Deutschland 2003 · R: Byambasuren Davaa · Db: Byambasuren Davaa, Luigi Falorni · K: Luigi Falorni · ab 0 J. · 91′

Mi 17. November 2021 • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Die Geschichte vom weinenden Kamel

Die Spielwütigen

Vier junge Menschen auf dem Weg zum Traumberuf

Über sieben Jahre hinweg begleitet der Film vier junge Schauspieler auf dem schwierigen und komplexen Weg in ihren Traumberuf: von der Vorbereitung Anfang 1997 auf die Aufnahmeprüfung an der renommierten Schauspielschule „Ernst Busch“ und das aufreibende Anrennen gegen die Strukturen der Elite-Institution bis zu den ersten Engagements im Jahr 2003. Präzise zeichnet er die Hintergründe, Motive und Zweifel und fragt zugleich nach dem Preis für den Erfolg. Dabei kreist er subtil und einfühlsam um die Dynamik der Gefühle und verdichtet die vielen Partikel mit ebenso eindringlichen wie charmanten Details zu dramatischen Initiationsgeschichten.

Deutschland 2004 · R: Andreas Veiel · Db: Andres Veiel · K: Hans Rombach, Lutz Reitemeier, Jörg Jeshel, Johann Feindt, Rainer Hoffmann, Claus Deubel, Pierre Bouchez · ab 0 J. · 108′

Mi 20. Oktober 2021 • 18:30 Uhr im Cinema (kleiner Saal)

Plakat Die Spielwütigen

The Cemetery Club

warmherziges und unerwartet humorvolles Porträt einer Generation

Nationalfriedhof Mount Herzl in Israel. Jeden Samstag morgen die gleiche Prozession: Bestückt mit Plastik-Klappstühlen und Essensboxen zieht eine Gruppe älterer Menschen an dem Grabstein des Wegbereiters des politischen Zionismus vorbei, um es sich unter dem Schatten einer ausladenden Kiefer bequem zu machen. Die „Mount Herzl Academy“ tagt. Fünf Jahre lang hat die Filmemacherin Tali Shemesh die Gruppe begleitet, deren Zweck, neben der Diskussion kultureller und zeitgeschichtlicher Fragen laut Satzung darin besteht, der Vereinsamung im Alter vorzubeugen. Im Mittelpunkt stehen Minya, die zurückhaltende und eher schweigsame Großmutter der Regisseurin, und Lena, deren dominante Schwägerin – zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein können und die das Schicksal doch fest aneinandergebunden hat. Mit großer erzählerischer Sicherheit bewegt sich der Film zwischen der Gruppe, deren Mitglieder nach und nach sterben, und Lenas privatem Drama, das stellvertretend für das Trauma derer steht, die den Nazi Terror überlebt haben.

THE CEMETERY CLUB Israel 2006 · R & Db: Tali Shemesh · K: Sharon (Shark) De Mayo · ab 6 J. · poln./hebrä.OmU · 92′

Mi 21. Oktober 2020 • 18:30 Uhr

Prinzessinnenbad

der Alltag dreier Tennie-Girls in Berlin-Kreuzberg

Zusammen gehen sie auf Partys, in Cafés oder, wenn im Sommer die Sonne scheint, ins Prinzenbad. Die 15jährigen Mina, Klara und Tanutscha sind 15 Jahre alt, unzertrennliche Freundinnen seit ihrer Kindheit und beim Durchschlagen durch den Kreuzberger Teeniealltag alles andere als auf den Mund gefallen.
Für Filmemacherin Bettina Blümner waren sie außerdem ein Glücksfall: Für „Prinzessinnenbad“ hat sie die Mädchen ein Stück beim Erwachsenwerden begleitet und daraus ein Dokuportrait gemacht, das von der Offenheit, dem rauen Charme und schlagfertigen Witz der drei lebt. Auf der Berlinale wurde PRINZESSINNENBAD zum großen Publikumserfolg und gewann den Nachwuchspreis „Dialogue en perspective“.

Deutschland 2006 · R & Db: Bettina Blümner · K: Mathias Schöningh · ab 12 J. · 93′

Mi 16. September 2020 • 18:30 Uhr

Teufelsland

dokumentarisches Märchen nach der Sage der Brüder Grimm "Die Werwölfe ziehen aus"

Eine Reise auf den Spuren eines Mythos in die Weite von Lettland und Estland, wo heute noch der Werwolf umgeht. Dem Mann wachsen spitze Zähne, ein zottiges Fell und scharfe Klauen. Dann bricht es aus ihm heraus, das wilde Tier. Eine blutrünstige Bestie, so begegnet uns heute der Werwolf im Kino. Doch für unsere Vorfahren gab es ihn wirklich. Im sagenumwobenen Livland – heute ein Teil von Lettland und Estland – geht noch immer der Werwolf um. Zwei junge Letten, folgen seinen Spuren durch postkommunistische Städte und tiefe Wälder. Sie begegnen außergewöhnlichen Menschen, die noch mit der Natur und der heidnischen Tradition verbunden sind. Die estnische Völkerkundlerin Merili Metsvahi beleuchtet die Kulturgeschichte. Der Historiker Carlo Ginzburg entdeckt in Venedig eine ganz andere Facette des Mythos. Hinter der Anklage des Teufelspakts enthüllt er die gutartigen Werwölfe. Wenn am Johannistag, in der hellsten Nacht des Jahres, überall im Land die Feuer brennen, feiern Jung und Alt die Sonnenwende.

 Deutschland 2008 · R: Gisa Schleelein · Db: Gisa Schleelein · K: Lars Barthel • Mit Ieva Rulle, Andis Deme, Merili Metsvahi, Carlo Ginzburg, Davis Stalts und Band „Vilkaci“, Aldis Kevins, Ligita Beitina, Pastor Atis Grinbergs, Anatols, Ivars Fermanis, Kaika Laine u.w. · keine Angabe J. · 90′

Mi 15. April 2020 • 18:30 Uhr

Vaterlandsverräter

Der 75-jährige Schriftsteller Paul Gratzik, war 20 Jahre lang Inoffizieller Mitarbeiter des DDR-Staatssicherheitsdienstes

Gratzik war ein Gigolo, ein Haudegen, ein Menschenmagnet, ein gläubiger Kommunist, wie geschaffen für die Arbeit eines Informanten. 1981 offenbarte sich der Spitzen-IM, informierte die Freunde, die er vorher verriet. Dass er nun von den meisten Intellektuellen ausgestoßen, dass er zur Unperson erklärt und in die Provinz verbannt wurde, nahm er in Kauf. Das filmische Porträt eines außergewöhnlichen Mannes, dessen Leben ein Zickzack zwischen den Extremen war. Paul Gratzik ist in Widersprüchen zu Hause. Jede Auseinandersetzung mit ihm ist gleichzeitig eine große intellektuelle und emotionale Herausforderung. Eine Geschichte, wie sie so, mehr als 20 Jahre nach dem Ende der DDR, noch nicht erzählt worden ist. Annekatrin Hendel wollte keinen Enthüllungs- oder Rechtfertigungsfilm machen, sondern einer über die Zerrissenheit eines deutschen Literaten, der mit seinen Werken durchaus prägend wirkte.

Deutschland 2011 · R: Annekatrin Hendel · Db: Annekatrin Hendel · K: Jule Cramer, Can Elbasi, Johann Feindt, Martin Langner • Mit Paul Gratzik, Matthias Hering, Ernstgeorg Hering, Ursula Karusseit, Raphaela Schröder u.a. · ab 0 J. · 97′

Mi 19. Februar 2020 • 19:00 Uhr

Plakat Vaterlandsverräter

Rivers And Tides

»Ein Film von fließender Geschmeidigkeit und kristalliner Schönheit« (Schnitt Filmmagazin)

Der schottischen Künstler Andy Goldsworthy ist vor allem für seine Landart-Projekte bekannt. Das Material, das er verwendet nimmt er ausschließlich aus der Natur. Steine, Blätter, Zweige, Blüten, Wasser, Eis. Er arrangiert, flechtet, baut; und lässt dann die Kräfte der Natur wirken. Veränderungen der Werke sich Teil seines Konzeptes.
Thomas Riedelsheimer fängt vier Jahre lang genau das ein, begleitet ihn bei seiner Arbeit und dokumentiert seines Schaffensprozesse. Er begleitete ihn bei Projekten in den USA, Kanada, Frankreich und Schottland. Ähnlich wie die Fotobände über Goldsworthys Werk fängt Riedelsheimer wunderbare Bilder ein und bewahrt so ein Stück der vergänglichen Kunstwerke, unterstützt von der Musik von Fred Frith.

»In makelloser Ruhe und Beschaulichkeit observiert Riedelsheimer den Künstler und seine Arbeit mit zurückhaltender Farbigkeit. Er versucht, so wenig wie möglich hinzuzutun, eine Kranfahrt wirkt schon fast luxuriös. Besonders wohltuend: dass Riedelsheimer der Versuchung, selbst Kunst machen zu wollen, nicht erliegt.« (Begründung der Jury: Deutscher Kamerapreis 2001)
Deutscher Filmpreis 2003: Bester Dokumentarfilm, Beste Kamera

Deutschland 2000 · R & Db: Thomas Riedelsheimer · K: Thomas Riedelsheimer · Musik: Fred Frith • Mit Andy Goldsworthy u.a. · ab 0 J. · engl.OmU · 94′

Mi 15. Januar 2020 • 19:00 Uhr

Plakat Rivers And Tides

Above And Below

Vom Mars. Auf die Erde. Unter die Oberfläche.

Auf eine spannende Reise weit weg von Menschenmassen und zivilisierter Welt begibt sich Debütfilmer Nicolas Steiner in seinem erhellenden filmischen Portrait. Das gezeigte alltägliche Dasein und der Überlebenskampf seiner Porträtierten, die u.a. in der Kanalisation von Las Vegas oder in einer verlassenen Wüste Utahs leben, erweitern den Blick des Zuschauers auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben und sorgen für spannende Einblicke in fremde, verborgene Welten. Fünf unterschiedliche Überlebenskünstler in ihren über- und unterirdischen Existenzräumen im Westen der USA. Sie sind „Outcasts“ so wie Rick und Cindy in den Flutkanälen tief unter den funkelnden Straßen Las Vegas, Dave in einem verlassenen Bunker im ausgetrockneten kalifornischen Niemandsland oder Astronautin April in der steinigen Wüste Utahs auf ihrer Marsmission. Man muss für die zweistündige Doku Geduld und Ausdauer mitbringen, wird aber mit fesselnden Lebensrealitäten und einer sinnlichen Bildkomposition sowie sanften Erzählweise belohnt.

Deutschland/Schweiz 2015 · R: Nicolas Steiner · Db: Nicolas Steiner · K: Markus Nestroy • Mit Edward „Lalo the Godfather“ Cardenas, Cynthia „Cindy“ Goodwin, Richard „Rick“ F. Ethredge, Campus Martius Crew 120 April Davis u.a. · ab 12 J. · engl.OmU · 124′

Mi 18. Dezember 2019 • 19:00 Uhr

Plakat Above and Below

Schönheit

Aus dem Operationsaal

Eine Automobilkauffrau, die Karriere machen möchte, eine alleinstehende Bankangestellte, die eine Schuhsammlung besitzt und mit ihren Katzen lebt. Eine Mutter, die Gründerin eines Internetforums ist, das sich mit ästhetischen Operationen befasst. Eine Frau, die Probleme mit ihrem Übergewicht hatte und ein Friedhofsgärtner, der sein Leben bis ins Endliche vorgeplant hat. Menschen aus der deutschen Mittelschicht. Auf den ersten Blick scheint an den Protagonisten in SCHÖNHEIT nichts ungewöhnlich zu sein, allerdings haben sie alle etwas vermeintlich Außergewöhnliches gemeinsam – eine Schönheitsoperation. Carolin Schmitz gewährt dem Zuschauer einen Einblick in das Leben von Menschen, die sich im Namen der Schönheit unters Messer gelegt haben, aber auch von Menschen, die plastische Operationen durchführen. Welche Lebensentwürfe haben diese Personen? Was verstehen sie unter Schönheit? Der Film zeigt neben den vielfältigen Möglichkeiten, die die heutige Chirurgie bietet, auch die vielschichtigen Aspekte von Kontrolle, Sehnsucht und Optimierung der eigenen Lebenswelt, die einen solchen Eingriff begleiten. Im Bereich der körperlichen Verschönerung scheint nichts unmöglich, angefangen von der Entfernung lästiger Schlupflieder und Nasenhöcker, über die Vergrößerung der Brüste bis hin zur Optimierung des Unterleibs für ein höheres Lustempfinden. Die Protagonisten in SCHÖNHEIT reden offen und nicht ohne Stolz über ihre Eingriffe. Sie verstehen die OP nur als Baustein, der das Leben insgesamt besser und schöner machen soll. Das Ergebnis des Eingriffs gehört gewissermaßen zum guten Lebensstandard, wie ein schnelles Auto, einen Personal Trainer, teure Kleidung oder der regelmäßige Besuch beim Friseur und der Kosmetikerin. Im Verlauf des Films wird klar, dass sich die Protagonisten im Spannungsfeld zwischen individueller Autonomie und Hörigkeit gegenüber sozialen Normen bewegen. Es wird jedoch auch immer deutlicher, welche ganz eigene Bedeutung Schönheit und Schönsein für jeden Einzelnen hat.

Deutschland 2011 · R: Carolin Schmitz · Db: Carolin Schmitz · K: Hajo Schomerus · ab 0 J. · 81′

Mi 20. November 2019 • 19:00 Uhr

7 Brüder

Erzählkino im besten Sinne - Deutsche Familien- und Zeitgeschichte als starkes filmisches Experiment

Sieben Brüder, geboren in Mülheim an der Ruhr zwischen 1929 und 1945. Im Spannungsfeld von Geschichte und Eigensinn, Gemeinsamkeit und Selbstbehauptung zeugen ihre Lebenswege von einer Generation, deren Kindheit zur Stunde Null endete bzw. gerade erst begann. Ihre Biographien entwickeln sich in eigene Richtungen: Kaufmann, Bäcker, Musikprofessor, Schauspieler, Manager, Lehrer. Im Jahr 2001 nehmen sich Regisseur Sebastian Winkels und die Gebrüder Hufschmidt eine Woche Zeit im Filmstudio. Allein der freien Erzählung, der unbedrängten Erinnerung der Brüder gilt die Aufmerksamkeit, die sich aus einer Atmosphäre der absoluten Stille entwickelt. Aus den sieben Einzelporträts wird ein Austausch unter Brüdern, in dem sich Gleiches und Ungleiches, Gesagtes und Nicht-Gesagtes zum Bild einer großen, gemeinsamen Erzählung verbindet.

»Ich habe den Brüdern sehr früh erklärt, dass es auf keinen Fall um Interviews gehen würde, sondern darum, frei zu erzählen. Von mir würde keine einzige Frage in unserem Erzählraum fallen. (…) Gedreht haben wir an sieben aufeinander folgenden Tagen – ein Tag für jeden Bruder. In gewisser Weise ‚treffen‘ sich die Brüder im Film gerade dadurch, dass sie nicht gemeinsam vor der Kamera sind. Im Erzählraum war immer auch die Präsenz der Brüder gegenwärtig, die nicht da waren. Der jeweilige Bruder, der gerade auf dem Stuhl saß, wusste: ich bin nicht wirklich allein in diesem Raum, meine Brüder waren entweder schon da oder werden nach mir sprechen.« (Regisseur Sebastian Winkels)

»Das Resultat geht weit über eine spannende Rekonstruktion von spezifischer Familiengeschichte hinaus (…) Zudem ist dieses soziologische Experiment nicht nur spannend und unterhaltsam, sondern auch ein überfälliger, geradezu wohltuender Kontrapunkt zur gegenwärtig grassierenden Nostalgie-Welle, die Geschichte allein nach den Maßgaben von Popkultur und Plotpoint- und Identifikationsdramaturgie umkodiert. Das subtil herausgearbeitete Destillat aus den 56-stündigen Aufzeichnungen verblüfft trotz seiner formalen Strenge durch hohe Unterhaltsamkeit, Witz und den weiten Bogen durch ein Dreiviertel Jahrhundert gelebter Geschichte.« (film-dienst)

Deutschland 2003 · R: Sebastian Winkels · Db: Sebastian Winkels · K: Isabelle Casez, Benedikt Hain • Mit Klaus, Hannes, Wolfgang, Dieter, Volker, Hartmut, Jochen Hufschmidt · ab 6 J. · 86′

Mi 16. Oktober 2019 • 19:00 Uhr

Was lebst Du?

Einfühlsames Porträt von vier jungen Männern

Sie heißen Ali, Kais, Alban und Ertan. Ihr Treffpunkt ist das kölsche Jugendzentrum „Klingelpütz“. Hin- und hergerissen zwischen traditionellem Elternhaus und westlichem Lebensstil, Stolz und Zukunftsangst suchen sie alle ihren Weg in einer Gesellschaft, die ihnen oft genug mit Vorurteilen begegnet. Die Filmemacherin Bettina Braun hat in ihrem Debüt-Dokumentarfilm die vier jungen Männer im Alter zwischen 16 und 20 Jahren mit der Kamera begleitet. „Was lebst Du?“ ist die große Frage, die Bettina Braun in ihrem Film stellt und irgendwie kommt es bei den Protagonisten dann doch ganz anders, als der Zuschauer zuerst denkt. Die Filmemacherin schafft es, eine wirkliche Beziehung zu den Jugendlichen aufzubauen, wird von der Beobachterin zur freundschaftlichen Begleiterin. Sie lässt ihre Protagonisten teilhaben an ihrer Schwangerschaft, nimmt später ihr Kind mit zum Dreh und bricht damit das Eis bei den Jungs, die sich selbst so gerne als harte Männer inszenieren und dann mit einem Kind im Arm doch jede Machoattitüde fallen lassen.

Deutschland 2004 · R & Db: Bettina Braun · K: Bettina Braun · 83′

Mi 18. September 2019 • 19:00 Uhr

Plakat Was lebst Du?